Vor der Machtübernahme

■ In Sachsen-Anhalt scheint die Regierungsbeteiligung programmiert

Magdeburg (taz) – Gerade mal 420 Mitglieder zählen die Bündnisgrünen in Sachsen-Anhalt – „und das ist schon ein Zuwachs“, freut sich Wahlkampfmanager Chris Boppel über die rund fünfzig Neuzugänge seit Jahresbeginn. Trotz der mageren Basis sind die Bündnisgrünen entschlossen, ab Juni in Sachsen-Anhalt mitzuregieren. Das war nie strittig, auch wenn auf dem letzten Landesparteitag ein Antrag zur Abstimmung stand, der die Absage an eine Ampelkoalition festschreiben wollte. Doch Hans-Jochen Tschiche, bürgerbewegter Übervater der Bündnisgrünen, warf sich in die Bresche: Es gehe schließlich darum, wirkliche Veränderungen im skandalgeschüttelten Sachsen-Anhalt herbeizuführen. „Und wenn das nicht mit den Sozis allein, sondern nur mit einer Ampel möglich ist, dann müssen wir in den sauren Apfel beißen“, überzeugte Tschiche die Delegierten.

Ungeheuer selbstbewußt basteln die Parteioberen an der Machtübernahme. „Die SPD muß ja, so scheint es, zum Jagen getragen werden“, lästert Tschiche gern. „Mindestens drei Ministerien und davon ein Schlüsselressort“, fordert der ehemalige Pastor und heutige bündnisgrüne Fraktionschef im Landtag für den rot-grünen Ernstfall.

In aktuellen politischen Fragen haben die unterschiedlichen Traditionen von Bürgerrechtlern und Ostgrünen eine untergeordnete Bedeutung. Selbst Dissidenten haben keine schlechten Aussichten. Heidrun Heidecke, umweltpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, zog für die Grünen ins Parlament und verließ die Partei, als sich die Vereinigung mit dem Bündnis zu lange hinzog. Sie wechselte zum Neuen Forum und blieb auch dort nicht lange. Dennoch: Sowohl vom Stadtverband Magdeburg als auch vom Landesparteitag wurde die jetzt Parteilose zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl nominiert.

Jetzt bastelt sie bereits in einer Arbeitsgruppe an den Forderungen für die Koalitionsverhandlungen. Die Forderungen werden nicht gerade bescheiden sein, denn die letzte Umfrage prophezeit den Bündnisgrünen für die Landtagswahl ein Ergebnis von rund 12 Prozent. Und Bundespromis von Joschka Fischer über Marianne Birthler bis Ludger Volmer sollen im Wahlkampf helfen, diese Prognose zu realisieren.

Hans-Jochen Tschiche bald schon als Minister. Schade wär's schon, wenn der hinreißende Redner künftig in die rot-grüne Kabinettsdisziplin unter Ministerpräsident Reinhard Höppner eingebunden wäre. Als Fraktionsvorsitzender könnte er seinem losen Mundwerk auch künftig den freieren Lauf lassen. löb