: Einheit nach Desaster
■ 1990 gescheitert, nun an die Macht?
Berlin (taz) – Die bündnisgrüne Bundestagsliste Mecklenburg- Vorpommern ist ein Kuriosum: Der erste Platz, in grüner Tradition für eine Frau reserviert, bleibt frei. Auf dem zweiten, also vorne, kandidiert der Bundestagsabgeordnete Klaus-Dieter Feige. Es habe unter den etwa 300 Mitgliedern keine geeignete Bewerberin gegeben, lautet die interne Begründung für den vakanten Spitzenplatz, und da dem Landesverband ohnehin nur ein Mandat sicher ist, scheint alles seine Richtigkeit zu haben.
Feige, früher SED-Mitglied, in der staatlichen Umweltbewegung der DDR engagiert, kommt aus den Ostgrünen. Sein Widerpart ist Heiko Lietz. Er stammt aus der Bürgerrechts- und Friedensbewegung der DDR und ist Gründungsmitglied des Neuen Forums. Daß es harmonischere Duos gibt, liegt schon in der unterschiedlichen Herkunft begründet. Doch in Mecklenburg lautet – über alle Differenzen hinweg – der innerparteiliche Imperativ: Gemeinsamkeit. Denn obwohl das grün-bürgerbewegte Spektrum bei den Landtagswahlen 1990 zusammen über 9 Prozent der Stimmen erreichte, scheiterten damals die getrennt angetretenen Organisationen jede für sich an der Fünfprozenthürde. Die bittere Erfahrung wurde zum Katalysator des im Juni 93 gegründeten gemeinsamen Landesverbandes.
Gestritten wird bei den Bündnisgrünen dennoch weiter. Differenzen gab es in der Vergangenheit in der Verkehrs-, der Atom- und der Bildungspolitik. Mittlerweile haben sich auch „liberalere“ ehemalige Bündnis-90-Mitglieder auf die Ablehnung der Küstenautobahn und einen Ausbau des vorhandenen Straßennetzes festgelegt. Auch die vage Aussicht auf einen Forschungsstandort für Kernfusion in Greifswald ist für den Landesverband kein Thema mehr. In der Bildungspolitik favorisieren ehemalige Bündnis-Mitglieder ein Schulsystem, das bei innerparteilichen Widersachern unter dem Titel „Elitenförderung“ firmiert. In der Frauenpolitik gibt es, wie auch in anderen Landesverbänden, deutliche Skepsis gegenüber einer starren Quotenregelung.
Bislang noch außerparlamentarisch rechnen manche Grünen mit einem zweistelligen Ergebnis bei den Landtagswahlen. Ziel ist die Regierungsbeteiligung. Eine Koalitionsaussage gibt es nicht, doch scheint Rot-Grün oder eine Ampelkoalition die wahrscheinliche Variante.
Anders als in Sachsen wirken im Verhältnis zur regierenden Union deutliche Berührungsängste. Doch weil man solche dem SPD-Matador Harald Ringstorff kaum nachsagen kann, könnten sich die Grünen im Herbst auch in der Opposition wiederfinden. eis
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