■ In Rußland haben sich Vertreter von Parteien, Staat und Gesellschaft zu einem „Bürgerfrieden“ verpflichtet
: Vorfreude auf zwei Jahre Ruhe

In Rußland haben sich wieder mal Gegenspieler um einen Tisch versammelt, verhandelt wie gehandelt und schließlich mit Staatsakt und Pomp einen Kontrakt unterzeichnet. Der „Bürgerfrieden“ verpflichtet die Vertragspartner zu zweijährigem Wohlverhalten in der politischen Arena. Zweifel am Sinn dieser Übung sind angebracht. Absprachen, Übereinkünfte oder Verträge besitzen in Rußland eine Qualität, die sich eine Spur von der in anderen Breiten unterscheidet. Was ich heute unterschreibe, unterschreibe ich eben heute... Ohnehin läßt sich die Einhaltung eines so globalen Paktes nicht überprüfen, geschweige denn lassen sich Sanktionen bei Zuwiderhandlung verhängen. Das waren zumindest plausible Argumente der Paktgegner.

Diesmal liegt nicht der Teufel im Detail, denn auf das Beiwerk kommt es Initiator Boris Jelzin gar nicht an. Er erließ einen kategorischen Imperativ, zu dem sich die politischen Kräfte zu verhalten haben. Ob sie es wollen oder nicht. Wollen sie Frieden oder Zerwürfnis. Die Aushandlung der Feinheiten, dessen, was in diesen zwei Jahren gestattet ist, wer welche Forderungen vortragen darf, sind nur Nebensächlichkeiten. Der „Pakt“ offenbart, welche Kräfte bereit sind, ihre eigenen Handlungen einem breit anerkannten Grundkonsens zu unterstellen. Wer gestern nicht unterschrieb, aus welchen Motiven auch immer, hat sich bereits hinter die Grenzen dieser – zugegeben sehr flüchtigen – Gemeinschaft hinausbegeben. Er wird dort auf Schwierigkeiten stoßen, wo er nach außen vermitteln muß, er hat das Gesamtwohl im Auge zu haben – und nicht allein egoistische oder lobbyistische Interessen.

Natürlich ist dem Präsidenten damit wieder mal ein Schachzug gelungen. Denn das Interpretationsmonopol liegt bei ihm und seiner Regierung. Zudem haben außer Vertretern politischer Parteien, die zwar im Parlament sitzen aber immer noch über keine soziale Basis verfügen, Repräsentanten aller staatlichen, administrativen, religiösen und sonstigen gesellschaftlichen Gruppen unterschrieben. Im Falle einer Verletzung des Abkommens seitens einer politischen Organisation wäre es nicht gelogen, von einem Verstoß gegen einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu sprechen. Der moralische Druck entsteht von selbst. Rußlands Politik bis 1996 wird etwas ruhiger verlaufen. Nicht unbedingt glatter.

Schon während seines Entstehens hat der Pakt ein klares und wohl bewußt angepeiltes Ergebnis erzielt. Die Opposition, die sich in der Ablehnung Jelzins einig war, hat sich in der Diskussion noch weiter auseinanderdividiert. Selbst Chauvinist Schirinowski unterschrieb. Während Kommunist Gennadi Suganow, der beim Festakt zugegen war, sich der Unterschrift enthielt. Parteidisziplin verlangte es. Doch die Kommunisten sind sich alles andere als einig in diesem Punkt. Der Friede nach außen wird einige Parteien vor schonungslose innere Kämpfe stellen. So war die ganze Sache anscheinend auch gedacht. Klaus-Helge Donath