Nordirlands langer Krieg

■ Der Bürgerkrieg rückt näher, glauben die Organisationen der Loyalisten

Belfast (taz) – Die Gewaltspirale dreht sich wieder schneller in Nordirland: Mit dem Mord an einem Katholiken in der Nacht zu gestern ist die Zahl der Opfer in dieser Woche auf sechs gestiegen. Vor allem die loyalistischen Organisationen haben ihre Aktivitäten in jüngster Zeit erheblich verstärkt. Loyalisten sind diejenigen Protestanten, die der englischen Krone Treue geschworen haben, nicht unbedingt jedoch dem Parlament. Ihre beiden größten Organisationen sind die „Ulster Defence Association“ (UDA) und die „Ulster Volunteer Force“ (UVF), die ihre Aktivitäten in einem „Vereinten loyalistischen Militärkommando“ koordinieren. Auf das Konto der beiden Organisationen gehen zehn der 17 Morde in diesem Jahr. Hinzu kommen im Schnitt zwei fehlgeschlagene Mordanschläge pro Nacht. Die Opfer sind vor allem junge katholische Männer, die in gemischten Arbeitervierteln leben.

Bereits seit zwei Jahren übersteigt die Zahl loyalistischer Gewalttaten die der „Irisch-Republikanischen Armee“ (IRA). Führende Loyalisten betonen, daß sie die Anschläge auch dann nicht einstellen würden, wenn die IRA einen Waffenstillstand verkünden sollte – im Gegenteil: Das wäre für sie der Beweis, daß die britische Regierung weich geworden ist. „Jemand muß einen Preis bezahlt haben, wenn die IRA einen Waffenstillstand eingeht“, sagte der Kommandant des Süd-Belfaster Bataillons der UDA in einem Guardian-Interview.

Die Loyalisten bereiten sich auf einen langen Krieg vor. „Die Tage sind vorbei, in denen wir lediglich auf die IRA reagiert haben“, sagte der UDA-Kommandant. Gewalt zahle sich offenbar aus, meint er: „Die IRA hat 25 Jahre lang unsere Städte bombardiert und unsere Leute getötet, und jetzt sagt die britische Regierung auf einmal, daß sie keine weiteren Bomben im Zentrum von London will. Unsere Freiwilligen sind bereit, unsere Lebensart zu verteidigen.“ Also ein Bürgerkrieg? „Die Voraussetzungen dafür sind gegeben“, sagte der UDA-Mann. „Ich glaube, daß ein Bürgerkrieg jeden Monat ein Stück näherrückt – und das ist keine Kriegstreiberei, sondern Tatsache.“

Die UDA-Führung arbeitet zur Zeit ein politisches Programm aus, in dem sie ein unabhängiges Nordirland im Rahmen der Europäischen Union vorschlägt. Einzelheiten sollen noch vor dem Sommer veröffentlicht werden. Man würde lieber Teil des Vereinten Königreiches bleiben, sagte der UDA-Sprecher, aber man sei sich bewußt, daß die britische Regierung kein wirkliches Interesse mehr an Nordirland habe. Was wird dann aus der katholischen Bevölkerungsminderheit? Die meisten Katholiken würden eine interne nordirische Lösung akzeptieren, glaubt die UDA. „Die anderen haben das Recht, das Ziel eines vereinten Irland mit demokratischen Mitteln zu verfolgen.“

Doch von einer demokratischen Lösung ist Nordirland weit entfernt. Die IRA und die kleine Splittergruppe, die „Irische Nationale Befreiungsarmee“ (INLA), haben offenbar begonnen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten: Sie haben in dieser Woche drei Protestanten getötet – die IRA behauptet, es waren Loyalisten. Deren Racheaktion wird nicht lange auf sich warten lassen. Ralf Sotscheck