Der Export als goldenes Kalb

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik gibt der Bundesregierung die Note „Sechs“ und fordert eine Umorientierung auf eine regional ausgerichtete, jobintensive Ökonomie  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Die Bundesregierung hat eine „Wettlauf-Psychose“. Mit ihrer ausschließlichen Orientierung auf Exportförderung würgt sie den Aufschwung ab, so das scharfe Urteil der Bremer Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in ihrem Memorandum 94. „Der Weltmarkt ist in diesem Entwicklungstyp nicht (untergeordnetes) Instrument, das eingesetzt wird, um Vollbeschäftigung, sozialen Wohlstand und eine ökologisch tragfähige Entwicklung zu erreichen. Beschäftigungs-, Sozial- und Umweltpolitik werden vielmehr zu Instrumenten, durch deren Zurücknahme Positionsgewinne auf dem Weltmarkt erzielt werden sollen.“

Dabei sei das ganze Konzept eine Katze, die sich in den Schwanz beißt: Denn der Drang zum Exportüberschuß sei ja nur eine Folge der mangelnden Inlandsnachfrage. Indem das Kabinett Sozialhilfe und Arbeitslosengeld immer weiter zusammenstreicht und die Arbeitgeber erfolgreich an der Lohnschraube drehen, sinkt innerhalb Deutschlands die Geldmenge, die für Konsumgüter ausgegeben werden kann – folglich wächst der Druck, anderswo deutsche Güter loszuwerden. Weil aber auf dem Weltmarkt ausländische Unternehmen die gleiche Strategie verfolgen, wird versucht, die Herstellungskosten in Deutschland zu senken – was wiederum den Drang zum Export erhöht.

Aber: „Anders als in früheren Aufschwüngen kann die Bundesrepublik nicht mit einem kräftig ansteigenden Außenhandelsüberschuß rechnen“, prognostizieren die Ökonomen. Das sei allerdings nicht auf wachsende Lohnstückkosten zurückzuführen, die bei Einbeziehung der Preissteigerung tatsächlich sogar überdurchschnittlich gefallen seien. Vor allem die starke Aufwertung der Mark sei dafür verantwortlich.

Die Autoren des Memorandums schlagen deshalb eine Wende der Wirtschaftspolitik vor. Als Ziele definieren sie: Vollbeschäftigung, ökologischer Umbau – zunächst im Verkehrsbereich, Ausbau von öffentlichen Büchereien, Schwimmbädern und Grünanlagen sowie eine regional orientierte Politik, die Export als Mittel und nicht als Zweck definiert.

Wirtschaftswachstum zum Wohle der Umwelt

Auch Professor Rudolf Hickel und seine Kollegen verzichten nicht auf die Vision vom Wirtschaftswachstum. Voraussetzung für Beschäftigungsprogramme und Investitionen aber soll künftig sein, daß sie der Umwelt nicht schaden und möglichst sogar nützen. Arbeitszeitverkürzungen und sozial abgesicherte Teilzeitjobs sollen die Schlangen auf den Arbeitsämtern ebenfalls verkürzen: 3,3 Millionen zusätzliche Leute könnten in Lohn und Brot stehen, wenn jede Schicht 20 Prozent kürzer und ein Drittel der Vollzeitstellen geteilt würde, glauben die Professoren. Mit solchen Veränderungen einhergehende Rationalisierungen haben sie bereits einberechnet. Zumindestens bei den unteren Einkommensgruppen fordern die Wissenschaftler vollen Lohnausgleich – nicht nur aus sozialen Gründen, sondern auch, damit die Nachfrage im Inland nicht sinkt.

Auch die heilige Kuh Automobilindustrie soll geschlachtet werden. Massiv wachsende Benzinpreise und staatliche Beschränkungen sollen ihre Bedeutung zurückdrängen und Platz machen für sinnvolle Produktinnovationen. Beim Umgang des öffentlichen Sektors plädieren die Experten ebenfalls für eine 180-Grad- Wende: Statt Schließung von Theatern deren Ausbau, statt Privatisierung der Post eine Verwaltungsreform, die die bürokratische Strukturen abschafft.

„Dieses Konzept ist trotz seiner prinzipiellen ökonomischen Machbarkeit offensichtlich nicht kurzfristig zu realisieren“, konstatiert die Bremer Gruppe. Um aber schon die richtige Richtung einzuschlagen, regen die Ökonomen ein Sofortprogramm an, das in den nächsten drei Jahren je 130 Milliarden Mark kostet. Finanziert werden soll es durch Subventionsabbau und Kürzung des Rüstungshaushalts, höhere Besteuerung der Geldvermögen mit Hilfe von Kontrollmitteilungen der Banken an die Finanzämter, eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige, billige Anleihen bei den Banken sowie eine Neuverschuldung von 26 Milliarden Mark.