: „Es geht nicht mehr nur um Musik“
Eine Gruppe junger Musikfreaks kämpft für den Erhalt ihrer selbstverwalteten Techno-Diskothek / Bei einer Demo wurden sie von Faschos angegriffen – und schlugen sie zurück ■ Aus Leipzig Michaela Schießl
Viel ist nicht mehr übrig von der ehemaligen VEB Stadtbrauerei in Leipzig. Die einst denkmalgeschützten Klinkersteingebäude sind völlig heruntergekommen, die Fenster eingeworfen, das gesamte Gelände ist mit Schutt, Scherben, alten Reifen und Flaschen übersät. Keine Menschenseele scheint sich noch hierher zu verirren. Doch Samstag nachts um elf Uhr erwacht das alte Haus im Stadtteil Connewitz zu neuem Leben. Die Stahltür zum Keller öffnet sich, und Hunderte von jungen Leuten stehen Schlange, um Party zu feiern bis Sonntag mittags. Seit eineinhalb Jahren ist die Diskothek „Distillery“ ein Geheimtip der Techno-Szene. DJ-Größen kommen, meistens kostenlos. Als vergangenen Sommer Depeche Mode in der Stadt spielte, kam die Gruppe nach dem Konzert zur Session ins „Distillery“.
„Alles hat damit angefangen, daß wir eine Party-Location gesucht haben“, sagt der 22jährige Initiator Andy*. Die verlassene Brauerei in Connewitz bot sich an: Einmal liegt sie etwas von der Straße zurückversetzt, so daß die Nachbarn nicht allzu sehr gestört werden. Zum zweiten traut sich die „Fascho-Fraktion“, die rechtsradikalen Jugendlichen von Leipzig, nicht in den von Linken beherrschten Stadtteil. „Connewitz ist der einzige Stadtteil, wo man vor denen sicher ist“, sagt Andy. Er selbst hat sich extra ein Auto zugelegt, nachdem er mitten in der Stadt zweimal von Faschos mit Baseballschlägern zusammengeschlagen worden war. Mit seinen überweiten, überlangen Hosen, den Turnschuhen und dem Piratentuch wird er von den Rechtsradikalen sofort als Gegner erkannt.
„Seit eineinhalb Jahren machen wir nun die Disko in Selbstverwaltung, und nicht einmal hat es Ärger gegeben.“ Das Projekt funktioniert prächtig. Zunächst bekamen die Techno-Freaks den Strom noch aus Nachbars Steckdose. Mittlerweile haben sie aus den Erlösen des Getränkeverkaufs zwei Notstromaggregate angeschafft, und die notwendige Technik. Keinen Pfennig wollten die Jugendlichen von der Stadt, nur „unsere Ruhe“. Die hatten sie auch so lange, bis das Vier-Millionen-Objekt von der Stuttgarter Erbengemeinschaft an den Baulöwen Gustav Epple verkauft wurde. Zunächst fand er dieses Projekt noch prima, denn so könne er sich den Sicherheitsdienst sparen. Mittlerweile jedoch hat sich das Blatt gewendet. Epple will räumen lassen. „Wir vermuten, daß er abreißen und Wohnungen bauen lassen will.“ Die Jugendlichen jedoch widersetzen sich Epples Plänen. Den Verboten von Ordnungs- und Gewerbeamt – es gibt zum Beispiel keine Notausgänge – konnten sie bislang trotzen. „Wir haben Formalfehler gefunden.“ Doch auch der Stadtrat – mit Ausnahme des Jugendamtes – möchte den Musikklub kippen. „Über eine Million Mark vergibt die Stadt jährlich an den Fascho-Klub ,Anker‘“, sagt Andy. „Wir kosten ihnen keinen Pfennig, machen keinen Ärger, organisieren alles selbst und sollen raus. Nicht einzusehen.“
Um ihr Anliegen öffentlich zu machen, demonstrierten 300 Klubmitglieder vor zwei Wochen vor dem Neuen Rathaus. Statt Reden zu schwingen, brachten sie ihre Musikanlage mit. „Wir machten Party, tanzten und verteilten Handzettel an die Polizei.“ Ein Mordsspaß sei das gewesen, und so beschloß man, die Aktion zu wiederholen. Am vergangenen Dienstag war wieder Rathaus-Partytime, diesmal mit 500 Teilnehmern. Doch die Faschos der Stadt hatten Wind bekommen. Sie versammelten sich in ihrem Treffpunkt „McDonald's“. „Wir haben eine eigene Security-Truppe, die hat die im Auge behalten“, sagt Andy. Denn lange schon sind die Musik- Kids nicht mehr bereit, sich dem rechten Terror zu beugen.
In Kickboxgruppen lernen sie, sich zu wehren. Und doch wurden sie von dem Angriff überrascht. Die etwa dreißig Rechtsradikalen hatten sich einzeln dem Rathaus genähert und griffen unvermittelt an. Steine und Flaschen flogen, vier Polizisten standen erschrocken daneben. Die meisten der Demonstranten zogen sich zurück, nur die Security-Gruppe ging in die Gegenoffensive. Nachdem zwei von ihnen von den Rechten vermöbelt worden waren, jagten sie ihrerseits die Faschos durch die Stadt bis zum Bahnhof. „Dort flüchteten die dann in bereitstehenden Wagen.“ Als alles vorbei war, kam das Polizeiaufgebot. „Weinigstens haben wir einige der Faschos erkannt und konnten sie benennen“, sagt Andy.
Als Polittruppe wollen sich die jungen Technos nicht verstehen. „Wir stehen nicht auf lange Ideologie-Debatten, auf Plenas und all das Betroffenengeschwätz. Wir wollen vor allem unseren Spaß, wollen Fun und Party. Doch irgendwann haben wir geschnallt, daß es nicht nur um Musik geht.“ Sie sind wild entschlossen, ihren Musikklub weiterzubetreiben, als faschofreie Zone. „Die können uns nicht hindern. Wenn sie die Tür vermauern, was soll's, wir haben schließlich Spitzhacken.“
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