Im europäischen Vergleich rückständig

■ Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, über Bürgerrechte und Identifikation

taz: Herr Bubis, Sie machen sich seit geraumer Zeit dafür stark, daß das Staatsbürgerrecht in Deutschland reformiert wird. Zu einer umfassenden Reform wird es in dieser Legislaturperiode aber nicht mehr kommen. Wie bewerten Sie die Entwicklung?

Ignatz Bubis: Es ist gerade elf Monate her, daß sich nach dem Brand- und Mordanschlag in Solingen alle politischen Parteien darin einig waren, daß das alte Staatsbürgerrecht aus dem Jahr 1913 einer Reform bedarf. Ich bin wirklich davon ausgegangen, daß das in Angriff genommen wird. Dabei ist es mir nicht auf jedes Detail angekommen, aber es sind doch einige ganz wichtige Veränderungen notwendig. Zum Beispiel das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft für ein hier geborenes Kind. Ich bedauere wirklich sehr, daß hier noch keine Übereinstimmung gefunden wurde und die Gesamtreform noch nicht gelungen ist.

Sie waren im letzten Jahr recht optimistisch, daß sich auch die Unionsparteien in dieser Frage bewegen. Einige Äußerungen des Kanzlers haben dazu auch Anlaß gegeben. Wie erklären Sie sich, daß die Politik nur so wenig zustande gebracht hat?

Ich kann nur schwer beurteilen, ob das damals nur eine Spontanreaktion war. Ich habe schon viel früher davon gesprochen, daß dieses Staatsbürgerrecht, das auf Volkstum beruht, angesichts der europäischen Entwicklung schon längst hätte reformiert sein müssen. Wir haben ja beinah das rückständigste Staatsbürgerrecht Europas.

Sie haben sich von einem erleichterten Einbürgerungsrecht auch eine gewisse Wirkung auf die Ausländerfeindlichkeit im Land versprochen ...

Ich habe keine unmittelbare Wirkung auf die herrschende Ausländerfeindlichkeit im Lande gesehen. Denn ein eingebürgerter Schwarzafrikaner, um ein Beispiel zu nehmen, bleibt für jemanden, der rassistisch und fremdenfeindlich denkt, ein Fremder, leider ist das so. Auf lange Sicht verspreche ich mir jedoch Auswirkungen. Über sechs Millionen Ausländer leben in Deutschland, und es wird oft in den Raum gestellt, daß das vergleichsweise viel mehr sind als in anderen europäischen Ländern. Aber das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß in anderen Ländern eine viel schnellere Einbürgerung stattfindet. Dazu kommt, daß ein Ausländer, der hier lebt, sich ja auch mit Deutschland identifiziert und sich nicht mehr wie ein Fremder bewegt, wenn er die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Interview: Tissy Bruns