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Deutscher sein ist eben "Schicksal"

■ Die Mehrheit der Volksvertreter der Deutschen hat gestern die längst überfällige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verhindert: Die Koalition lehnte Einbürgerungserleichte- rungen und doppelte...

Die Mehrheit der Volksvertreter der Deutschen hat gestern die längst überfällige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verhindert: Die Koalition lehnte Einbürgerungserleichte-

rungen und doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer ab.

Deutscher sein ist eben „Schicksal“

Nur widerstrebend ging die Ausländerbeauftragte gestern in den Plenarsaal des Bundestags. Drei Tage, sagte Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP), habe sie sich ernsthaft überlegt, ob sie nicht zurücktreten solle. Aber mehr als ein großes Aufsehen für acht Tage wäre dabei nicht herausgekommen, und schließlich lohne sich auch für die kleineren Vorhaben unverändert der Einsatz. Ihr größtes Vorhaben, das wußte die liberale Bundestagsabgeordnete seit geraumer Zeit, mußte im Bundestag an der Mehrheit der Koalitionsparteien scheitern. Die FDP folgte der Koalitionsräson und stimmte gestern gegen die Gesetzentwürfe, die sie inhaltlich trägt und begrüßt hat.

Erleichterte Einbürgerung, die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft und die deutsche Staatsbürgerschaft für ausländische Kinder der zweiten oder dritten Generation – das sehen mit geringen Abweichungen die beiden Gesetzentwürfe von SPD und Bundesrat vor, die das Parlament gestern beerdigt hat. Der des Bundesrats ist eine Übernahme aus dem Hause der Ausländerbeauftragten. Im Februar 1993, als nach der Asyldebatte und den Morden von Mölln der Ruf nach einem anderen Staatsbürgerrecht immer lauter geworden war, hatten Schmalz-Jacobsen und unmittelbar darauf die SPD ihre Initiativen vorgelegt. Nach dem „Schock von Solingen“, wie Cornelie Sonntag- Wolgast (SPD) gestern sagte, wurde sogar in der Union neu nachgedacht. Der Kanzler kehrte aus der Türkei zurück und fragte öffentlich, ob nicht – gewissermaßen probehalber – die doppelte Staatsbürgerschaft für fünf Jahre toleriert werden könne.

Von so differenzierten Überlegungen hat sich die Union wieder entfernt. Für den Schlußstrich im Bundestag wurde gerade so viel Rücksicht aufgebracht, wie der liberale Koalitionspartner brauchte, um nicht ganz blamiert dazustehen – von den Versuchen, sich wenigstens in Bundestagsreden in die Situation des „ausländischen Mitbürgers“ einzufühlen, ist nichts übriggeblieben. Erwin Marschewski (CDU) bestätigte gleich am Anfang seiner Rede Cornelie Sonntag-Wolgast, die der Union vorgeworfen hatte: „Punktsiege am Stammtisch sind Ihnen wichtiger.“ Er bediente sich der ganz groben Geschütze und begann mit der Frage, ob sich die Bundesrepublik denn eines gewalttätigen Ausländers oder Drogenhändlers noch entledigen könne, wenn dieser Deutscher geworden sei. „Nein ... Schon deswegen kommt die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft nicht in Frage.“

Die doppelte Staatsbürgerschaft hinzunehmen und damit das Haupthemmnis gegen die Einbürgerung zu beseitigen, das war auch gestern wieder der Hauptstreit zwischen Union und allen anderen politischen Kräften im Bundestag. Drei Jahrzehnte Einwanderung seien nicht mehr umkehrbar, die doppelte Staatsbürgerschaft helfe den Einwanderern auf dem Weg der Integration – so Sonntag-Wolgast. Konrad Weiß (Bündnis90/ Die Grünen) erinnerte an die überraschend erfolgreiche Unterschriftensammlung für die doppelte Staatsbürgerschaft. Und als überzeugender Anwalt für ein anderes Staatsbürgerrecht trat schließlich Burkhard Hirsch (FDP) auf. Er wolle nicht, daß in Deutschland eine neue Diaspora entstehe, die sich abkapsele und ihrerseits Ziel von Angriffen werde. „Scheinheilig“ nannte es Hirsch, wenn von einem Ausländer verlangt werde, sich zwischen den Staatsangehörigkeiten zu entscheiden, solange wir selbst uns nicht dafür entscheiden könnten, jemanden mit türkischem Namen und erkennbar türkischer Herkunft als Deutschen zu akzeptieren.

Doch resigniert mußte Hirsch auch feststellen: „Hier ist die Zeit der großen Würfe vorbei.“ Seine Fraktion werde die Entwürfe „im Vertrauen auf die umfangreiche Reform“ der nächsten Legislaturperiode ablehnen. Einige FDP- Abgeordnete, auch er selbst, würden sich enthalten, „weil wir die Entwürfe richtig finden“.

Hirsch ging zurückhaltend mit den Absichtserklärungen um, auf die sich die Koalitionsrunde zwecks liberaler Gesichtswahrung noch in letzter Minute geeinigt hatte. Marschewski strich sie groß heraus. Von 15 auf 10 Jahre soll der Mindestaufenthalt gesenkt werden, der einen Anspruch auf Einbürgerung begründet, die Möglichkeiten der doppelten Staatsangehörigkeit sollen bei Härtefällen ausgeweitet werden. Beim Grundsätzlichen ließ Marschewski kein Mißverständnis zu: Die Union werde am Abstammungsprinzip festhalten. „Die generelle Doppelstaatsbürgerschaft wird es mit der Union nicht geben.“ Denn für Marschewski heißt Deutscher sein, „dieser Schicksalsgemeinschaft anzugehören, aus der man nicht nach Belieben ein- und aussteigen kann“. Tissy Bruns, Bonn

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