Jute und Jugendstil

■ Für einen Tag Sperrmüll-Atmosphäre im Karo-Viertel

„Schade, nur lauter nackte Frauen und Kinder, keine Männer“, ärgert sich eine ältere Frau über ihr neues Dalí-Buch, „aber hübsch sind die Bilder trotzdem.“ Die körperbewußte Kunstfreundin hat das Buch aus einem der vier Sperrmüllcontainer gefischt, die, leider nur gestern, im Karoviertel aufgestellt waren. Zur Freude zahlreicher AnwohnerInnen, die die Müllbehälter fleißig als Selbstbedienungsladen nutzten.

Die Sammelcontainer, die mit Sondergenehmigung des Bezirksamtes Mitte aufgestellt worden waren, sind für die Stadtentwicklungsgesellschaft ein Versuch, mit den Müllproblemen des Karo-Viertels fertig zu werden. Norbert Schmidt, neueingesetzter Abfallberater, hat aber noch mehr vor, um das Erscheinungsbild des Viertels zu verbessern. „Die Leute müssen müllbewußter werden“, sagt er und will deshalb zusätzlich Papierkörbe aufhängen und Recyclingcontainer aufstellen. Das könnte vielleicht auch helfen, die feuergefährlichen Müllbestände zahlreicher Keller und Dachböden zu verringern.

Für die muntere Menge, die sich gestern um die Sammelbehälter drängelte, hatte die Aktion in erster Linie einen materiellen Sinn. Denn das meiste, was in den Containern landete, fand im Handumdrehen neue Eigentümer. Selbst mehrere Jutesäcke zogen einen Liebhaber an, der sie zu Kleidung verarbeiten wollte. Und einmal kam es gar zu schlußverkaufsähnlichen „Rangeleien“ - ein Jugendstil-Sekretär wurde angekarrt. Immer noch ganz überwältigt schleppte die Siegerin schließlich das gute Stück von dannen. Florian Sievers