„Einer dieser Tage“

■ Rothenbaum: Teilweise dramatisch erreichen S. Graf, J. Novotna, A. Sanchez und S. Hack das Halbfinale Von C. Thomsen, K. Rehländer, N. Westphal

Vier Akte hatte es gestern, das Tennistheater am Rothenbaum.

1. Akt:

Weniger pfeilschnell denn gemächlich wie einer jeniger bauschigen Wolken am Himmel beendete Arantxa Sanchez-Vicario den 1. Akt und zog an ihrer Gegnerin Leila Meskhi vorbei ins Halbfinale. Das ohnehin nicht durch übertriebene Eleganz zugeschnörkelte Spiel der Vorjahressiegerin wurde dabei zusätzlich vergröbert durch eine krankheitsbedingte Malesche. Unter dem leuchtenden, faustgroßen Pflaster auf dem rechten Knie der Spanierin schien sich jedenfalls mehr abzuspielen als auf dem Court. Folge: Hauruck-Tennis von der Grundlinie, gebändigte Laufkraft und eingeschränkte Schlagvarianz der Weltranglistenzweiten. Ihre Gegnerin, in der Hack- und Schlagordnung 34 Ränge unter der lädierten spanischen Orange rangierend und aus Georgien stammend, wußte aus dem geminderten Leistungspensum und besonders aus den schwachen Aufschlägen ihrer Kontrahentin kein Kapital zu schlagen. Das Mitleid der hier und da monoton klatschenden halbgefüllten Arena war der Verliererin mit dem Knabenhaarschnitt immerhin gewiß.

Frau Sanchez - auch die Varianz ihres sonst immensen sprachlichen Ausdrucksvermögens schien gelitten zu haben - kommentierte den heutigen Sieg mit Worten, die frappierend denen glichen, die sie ihrer gestrigen Premierevorstellung gegen die Argentinierin Bettina Fulco-Villella folgen ließ. Fühlte die Frau, deren Dynamo Experten unerschöpfliche Reserven bescheinigen, sich nicht gefordert? „Je schneller sie wiederkommt, desto besser“, wünschte sie sich auf jeden Fall Monica Seles herbei, deren Erscheinen bekanntermaßen für einen erheblichen Spannungsschub bewirkt hätte.

2. Akt:

Der Krefelderin Barbara Rittner wollen wir an dieser Stelle eine ausführliche Beschreibung ihrer desolaten Leistung gegen die formstark auspielende Jana Novotna ersparen. Tennisfans kann dies ohnehin recht sein. Nur so viel: Das von einem Zuschauer als „Grauen“ (2:6/2:6 aus Sicht der Deutschen) klassifizierte Debakel hatte nach 72 Minuten ein Ende. Die Rasanz, mit der die 25jährige Tschechin die Qualen ihrer neben der Spur befindlichen Gegnerin beendete, darf mit ruhigem Gewissen als gute Tat des Tages bezeichnet werden. Danke also, Jana, auch für die ungewohnt kecke Aufmachung (ein rosa Stirntuch mit weißen Punkten bündelte den blonden Haarschopf im Nacken) in diesem Jahr.

Wie gewöhnlich als Überbrückung zum Klimax, zum Spiel des Tages, diente der 3. Akt.

3. Akt:

Die Gräfin traf am frühen Nachmittag auf Magdalena Maleeva und offenbarte, daß auch sie in der Lage ist eine Begegnung spannender zu gestalten, als es in diesem Jahr bisher der Fall war. 7:5, 3:6 und schließlich 6:0 schlug Steffi Graf die Bulgarin in einer dramarturgisch hochwertigen Partie. „Magic Maggie“, wie die jüngste des Schläger-schwingenden Maleeva-Clans von der amerikanischen Presse gehypt wird, vollbrachte das Wunder, Frau Graf mit hammerharten Retourns ihre Aufschläge dermaßen um die Ohren zu hauen, daß die Weltranglistenerste zunehmend ihre Contenance verlor – und ganz nebenbei noch den zweiten Satz überhaupt in diesem Jahr. „Mensch, Du Idiot“, fuhr sich die Brühlerin in der Manier eines Boris Beckers an. Irgendwie schienen diese Un-Grafschen Einlagen ihren Adrenalinspiegel so weit zu steigern, daß sie schließlich doch noch den Sieg einfahren konnte. Mehr noch: Im ultimativen dritten Satz führte sie Magdalena Maleeva mit Tennis der brachialsten Art vor, düpierte sie nach Strich und Faden, ja demütigte sie so, daß die zwischenzeitlich am Oberschenkel verletzte Bulgarin nur dadurch ihrem Frust die nötige Luft verschaffen konnte, indem sie versuchte, ein Ballmädchen abzuschießen. Es half nichts. „Es war so einer dieser Tage“, sagte Steffi Graf vieldeutig, leicht mit dem Kopf schüttelnd undsich vielleicht der Tatsache nicht bewußt, daß sie – trotz des Satzverlustes – zum achten Mal in Folge im Halbfinale des Hamburger Frauenturniers steht.

4.Akt:

Die Position Nummer 1 ist also weiterhin unstrittig. Um die Ehre sich zweitbeste deutsche Tennisspielerin nennen zu dürfen, balgten sich gestern die Weltranglistensiebzehnte Sabine Hack und die an 11-positionierte Anke Huber. 77 Minuten brauchte Frau Hack aus Ravensburg um die Weltranglistenobere mit einen 6:3, 6:3-Sieg vom Platz zu schicken. „Ich habe zu viele Fehler gemacht“, gestand die Leimenerin Huber nach dem Spiel ein und lobte brav ihre Gegnerin: „Gegen Sabine müßte ich mein bestes Tennis spielen, um eine Chance zu haben.“ Aufgrund einer längeren Verletzungspause war sie indes dazu nicht in der Lage. Zu fit, fast wie einem Aerobic-Programm entsprungen, vermochte es Sabine Hack, durch ihr straightes Spiel die Badenserin vom Platz zu fegen. Vorübergehend ist sie also auf dem Weg, den Platz hinter Steffi Graf einzunehmen.