Die Liebe, die uralt macht

■ Gelunge „Gojim“-Premiere in der Bugenhagenkirche

Hamburg, 1941. Die Jüdin Esther liebt Hans, den Nazi. Sie ignoriert alle Warnungen, sie will keine Angst haben. Arm in Arm geht sie mit ihm in einer BDM-Uniform an der Alster spazieren. Die Gojim, die Ungläubigen, erkennen sie nicht, denn sie riechen keinen Angstschweiß. Hans verleugnet Esther, jedoch 50 Jahre später, denn er lebt 1993 in der Bundesrepublik und ist ein Neo-Faschist.

Spannend wie die Thematik dieser Szene ist die gesamte Aufführung des Stückes Gojim, die das Team der Theaterwerkstatt Hamburg in einer gelungenen Premiere am Donnerstag in der Bugenhagenkirche zeigte. Regisseur Michael Steuer inszenierte 120 Minuten zeitkritisches und lebendiges Theater ohne Schwulst und Pathos, stimmungsvoll untermalt von einem musikalischen Terzett. In 17 Bildern wird die Liebesgeschichte erzählt.

Morena Bartel spielt die Rolle der Esther, als ob sie ihr auf den Leib geschneidert wäre. Mit ihrer mitreißenden Mimik und stets wohlbetonten und leichten Bewegungen ist sie das Noch-Mädchen, das in der Liebe uralt wird. „Niemand kann hier etwas von uns verlangen“, beruhigt sie ihren Geliebten im Nest der Zeitlosigkeit, das, auf der Bühne hinter dünnem Stoffverborgen, der einzige Ort ist, an dem beide sich treffen können. Und mit „Ich lerne die Gojim kennen“, verteidigt sie mutig ihre Liebe gegen die Skepsis ihrer Schwester Sophie. Tanja Kleine überzeugt als unbeirrte Widerstandskämpferin.

Den wankenden Mitläufer Hans spielt Marc Hagen Westphal anfänglich noch etwas blutleer, doch er wird wie die Rollenvorgabe im Verlauf des Stückes glaubwürdiger. Den Kampf der Zerrissenheit, den Hans ausficht und gegen die Gewalt des Kaderführers Uwe (Stefan Lorch) verliert, gipfelt in einer unfaßbaren Tat: Er zerstört die Synagoge. Hans taumelt auf die Bühne und reißt sich angewidert die Kleider vom Leib, bis er nackt dasteht.

Die Schlußszene beginnt mit einer synchronen Handlung. Esther zieht die feindliche Uniform an, Hans legt sich, irre summend, seine Militärweste wieder über. Zum letzten Mal treffen sie sich, nur noch im Traum von der Zeitlosigkeit. „Wir sind unsere eigenen Todesengel“, stellt Esther fest und tötet mit einer Handgranate ihren Geliebten.

Katrin Wienefeld