Wurzeln verknüpfen

■ Eine sibirische Theatergruppe gastiert am Sonntag im Monsun

Es ist ein Experiment, ein kulturelles Abenteuer. Sie nennen sich Burjaten, Chakassen, Tuwiner und Altaier, sprechen turk, mongolisch und russisch, sind Schauspieler, Sänger, Tänzer, Regisseure, gehören zu den etwa hundert Völkern Sibiriens, leben über hunderte Kilometer voneinander entfernt - und sie arbeiten als freie Theatergruppe zusammen mit einer Deutschen aus Freiburg. „Es kam ziemlich Hals über Kopf“, sagt Bettina Woiwode. Auf dem Theaterfestival der sibirischen Völker vor zwei Jahren begeisterte sich die Bewegungslehrerin für die Kultur und die sibirischen Menschen und hatte die Idee, man müsse künstlerisch zusammenarbeiten - so entstand die Gruppe Weißes Rentier.

Ein verpflichtender Name. Wer je Tschingis Aitmatows Der weiße Dampfer gelesen hat, der wird sie nicht vergessen, diese traurige Legende von der gehörnten Hirschmutter. Sie rettet zwei Kinder, die als einzige ihres Volkes eine vernichtende Schlacht überlebt haben, und führt sie in ein fernes Land, wo sie ein neues Volk gründen. Die Nachfahren der gehörnten Hirschmutter aber werden von den Nachkommen ihrer geretteten Kinder gejagt und getötet. Diese Legende verbindet viele der sibirischen Völker - und das ist es, was die Gruppe sucht: das Verbindende, die sibirischen Wurzeln, die gemeinsamen Bräuche und Legenden, die in den Jahren der Sowjetunion verloren gegangen sind. Und so spielen sie jetzt ein Stück über die „Nachfahren des weißen Rentiers“.

Der Name „weißes Rentier“ verweist auf spirituelle Traditionen. Das Rentier gehört neben dem Vogel zu den Hilfsgeistern, die die Schamanen in andere Welten geleiten. Und auch die Farbe Weiß hat in Sibirien besondere Bedeutung. Die Burjaten betrachten weiße Tiere als heilig, sie zu töten wäre eine Todsünde.

Die Gruppe stellt sich bewußt in einen mythologisch-rituellen Kontext, sucht aber gleichzeitig die Synthese zwischen sibirischen Traditionen und europäischer Moderne. In ihrer Arbeit mischen sich modernes Bewegungstheater mit Maultrommel, Limbaflöte und Schamanentrommel. Alte Gesänge in der Technik des tief vibrierenden Kehlkopf- und des Obertonsingens begleiten die Aufführung.

Alexandra Schwerin v. Krosigk

Sonntag, 20 Uhr, Theater Monsun