Schützer der Keuschheit

■ Podiumsdiskussion: Verbietet der Islam den koedukativen Sportunterricht?

Man darf ein muslimisches Mädchen nicht zum Sportunterricht zwingen, meint manch strengläubiger Muslim – und dem stimmte im November vergangenen Jahres auch das Freiburger Verwaltungsgericht zu. Es bestätigte im Falle einer 16jährigen Muslimin, daß ihr die Teilnahme am Schulsport aufgrund ihres Glaubens nicht zuzumuten sei.

Helga Trüpel, Bremens Senatorin für Ausländerintegration, sieht das anders: „Mit diesem Urteil ist die religiöse Einstellung einer Einzelperson höher bewertet worden, als die für alle geltenden verbindlichen Grundwerte dieser Gesellschaft, wie Trennung von Staat und Kirche, allgemeine Schulpflicht und gleiche Erziehungs- und Bildungschancen.“

Und so lud die Senatorin am Donnerstag zu einer Podiumsveranstaltung nach Hemelingen. Muslimische Mädchen waren nicht dort. Dafür eine große Zahl männlicher Stellvertreter und Schützer des islamischen Keuschheitsgebotes. Ihnen unversöhnlich gegenüber: Bremische Lehrerinnen und Lehrer, die durch das Freiburger Urteil ihren staatlichen Erziehungsauftrag gefährdet sehen. „Wie soll ich eine Klasse leiten“, so eine Lehrerin, „wenn zum Beispiel an einer Klassenfahrt die Hälfte nicht teilnehmen darf?“ Junge Menschen zu selbständig denkenden Menschen erziehen – solle dies muslimischen Mädchen in Zukunft vorenthalten sein?

Allein auf weiter Flur blieb eine junge Frau. Perihan Cepne, geboren in der Türkei, Sport-Lehrerin in Bremen. „Meine Eltern hatten nichts dagegen, daß ich Sport studiere“, erklärte sie. „Welche religiösen Vorschriften werden denn eigentlich verletzt, wenn ein Mädchen am Sport in der Schule teilnimmt?“ Die Antwort kam prompt. Mehmet Kilinc, geistlicher Lehrer an der Hemelinger Moschee und gleichzeitig Vertreter der „muslimischen Frauengemeinschaft“ klärte auf: „Der Koran definiert die Schambereiche, welche nicht gezeigt, angeschaut oder gar berührt werden dürfen.“ Hierzu jedoch komme es unweigerlich im schulischen Sportunterricht. „Das sind beim Mann der Bereich vom unteren Bauch bis zu den Knien. Bei der Frau hat der ganze Körper, mit der Ausnahme von Händen, Gesicht und Füßen bedeckt zu sein“, erläuterte Kilinc weiterr.

Auf die Frage, warum denn dann die Teilnahme muslimischer Jungen am Schulsport offensichtlich so unproblematisch sei, gab es Ratlosigkeit. Kilinc: „Es gibt keine islamische Rechtsprechung. Doch wir müssen als Moslems unseren Platz in dieser fortschrittlichen Gesellschaft finden können, ohne dabei unseren Glauben aufzugeben.“ Keinen Zwang wolle er, nur das Recht auf den Schutz individueller religiöser Überzeugungen.

Ein anderer Muslim deutet den Islam hingegen anders: Cem Özdemir, Mitglied im Landes-Vorstand von Bündnis 90/ Die Grünen in Baden-Württemberg. „Es gibt nicht den Islam“, so Özdemir. Und: „Ähnliche Fragestellungen sind in Zukunft auch für den Biologie-Unterricht und in vielen anderen Bereichen denkbar.“ Özdemir weiter: „Dabei frage ich mich, ob die Toleranz, die Sie hier propagieren, auch noch die gleiche ist, wenn die türkische Refah-Partei, mit der Sie sympathisieren, mehrheitsfähig wird.“ Und so blieb dem Grünen eine Frage ungelöst: „Werden bei diesen Dikussionen nicht Kämpfe geführt, die woanders politisch gewonnen werden sollen?“

Doch der Frauen-Vertreter schwor, daß es keinen allgemeinen Zwang geben solle. „Es soll immer im Einzelfall entschieden werden“, beteuerte Kilinc, „mehr wollen wir ja gar nicht.“ Indes verstand Kilinc nicht so recht, „warum der Sportunterricht so hochstilisiert wird“. Es gebe ja auch andere Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung, beispielsweise Vereine, in denen Sport getrieben werden könne – vorausgesetzt natürlich: gleichgeschlechtlich. So der Minimalkonsens.

Wenn es zuletzt um das Verdecken körperlicher Schambereiche gehe, so Perihan Cepne, ja müsse man dann nicht die ganze Schule verbieten? Cepne: „Ich fühle mich in dieser Diskussion sehr hilflos.“ Und so war es ein türkischer Mann, der zumindest ansatzweise von der Unterdrückung muslimischer Frauen sprechen mochte: „Ich bitte Sie um die Beteiligung muslimischer Frauen am sozialen und kulturellen Leben“. André Hesel