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■ DVU-Wähler?Wilhelm Kaisen

„Wir stellen uns ohne Vorbehalt hinter den Reichsgedanken, wir wollen auch künfitg keine Bestimmung aufrechterhalten, die dem kommenden Aufbau eines neuen Reiches entgegenstehen sollte. Bremen ist als Treuhänder unseres gesamten Volkes anzusehen. Es hat sich immer als Treuhänder des Reiches gefühlt. Wenn Sie Ihren Blick zur Decke (des Rathaussaales) richten, sehen sie die Bilder der alten deutschen Kaiser, die von unseren Vorgängern hier nicht ohne Grund angebracht worden sind.“

Aus diesem Zitat abzuleiten, „Wilhelm Kaisen würde DVU wählen“, ist nicht nur absurd, sondern schlicht falsch. Kaisen bezieht sich nicht auf ein „Deutsches Reich“, wie es die Nazis verstanden. Er spricht über die neue Ordnung Deutschlands kurz nach dem Krieg, als es noch keinen Namen für den neuen deutschen Staat gab. „Deutsches Reich“ knüpfte an die Tradition der Weimarer Republik anschloß. „Treuhänder des gesamten deutschen Volkes“ bezieht sich auf die Stellung Bremens als Hafenstadt. Für das neue Deutschland wollte Kaisen eine föderale Struktur mit einem unabhängigen Bremen einklagen. Bremen sollte als einer der zwei wichtigsten Häfen Deutschlands dem gesamten „Reich“ als Umschlagplatz für den Handel dienen.

Kaisens Biographie zeigt, wie falsch die Behauptung der DVU ist: Kaisen war kein Deutschnationaler, der sich heute im rechten dunstkreis um die DVU bewegen würde. Kaisen war ein Sozialdemokrat, der von den Nazis bekämpft und kaltgestellt wurde. Er saß als „Senator für die Wohlfahrt“, vergleichbar dem Sozialsenator, vor 1933 im Bremer Senat und wurde von den Nazis 1933 aus dem Amt getrieben. Kaisen zog sich auf sein Privathaus in Borgfeld zurück und wurde während des Krieges zweimal von der Gestapo verhaftet und verhört.

Wilhelm Kaisen war auch kein „nationaler Politiker“, wie es die DVU versteht: Weder plädierte er für ein Deutschland ohne AusländerInnen noch für eine deutsche Sonderstellung unter den Völkern. Nach dem Krieg war er Anhänger des Kurses von Kurt Schumacher, der für Deutschland nationale Unabhängigkeit forderte und vor einer Anlehnung an die USA oder die Sowjetunion warnte, da dies die dauerhafte Teilung Deutschlands zur Folge haben würde.

taz

Historische Informationen:

Dr. Til Schelz-Brandenburg,Prof. Dr. Karl Holl

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