Night on Earth: Sex um vier Uhr früh, eine Geburt um Mitternacht, Cocktails um zwei Uhr, mit dem Taxi ins Bett. Vier Menschen, die ihr Geld verdienen, wenn der Mond scheint Von Thorsten Schmitz

Nachts in der großen Stadt

Mona Bumiller, 30,

Taxifahrerin

Nachts fahre ich immer bis zwei, drei Uhr. Wie ich Bock hab. Nachts sind die Straßen frei, und es ist ein angenehmes Publikum unterwegs. Tagsüber hast du Leute, die von der Arbeit kommen oder einkaufen gehen. Wenn du aber nachts fährst, am Wochenende, hast du zum Teil total scharfe Leute hier drin. Es kann mir überall was passieren. Es ist eine ganz intuitive Sache bei mir. Da gibt es Leute, an denen fahr ich gleich vorbei. Nachts ab 11 lehne ich auch Fahrten nach Hohenschönhausen oder Marzahn ab. Mit manchen Leuten versteh ich mich auf Anhieb, und dann geht man auch mal mit und trinkt mit denen ein Bier. Einerseits ist das ein guter Job, andererseits ist man ein gebranntes Kind. Nachts kommen bei mir manchmal Emotionen hoch, wenn ich so in Richtung 17. Juni fahre und die Prostituierten sehe. Ich identifiziere mich dann mit denen als Frau: Mensch, du bist eigentlich auch so ein Freiwild. Als Frau, was ja nicht normal ist, fährst du bis morgens mit deiner Droschke durch die Gegend. Da kommt Einsamkeit hoch, absolut. Du fühlst dich alleine, verlassen und denkst, was ist das nur für ein Scheiß-Job! Die anderen amüsieren sich und du sitzt in deiner Droschke. Hast 100.000 Leute hier drin und bist diese Recycling-Tonne: Die laden ihre Probleme ab. Letztendlich aber sitzt du dann noch blöder hier, weil der, der rausgeht, hat sich ja freigemacht. Manchmal power ich mich hoch und sag mir, du mußt deine Kohle schaffen. Dann ist Rauchen angesagt, Fenster runter, und mit guter Musik halte ich mich wach. Mein Traumjob ist Auslandskorrespondentin. Aber ich bin nicht ehrgeizig.

Foto: Conny Grosch

Jimmy Chan, 33, Barkeeper

Entweder arbeite ich von 20 bis 3 Uhr morgens oder von 22 bis 7, 8 Uhr. Ein guter Trinker ist einer, der nicht hysterisch trinkt. Besoffenen brauchst du keine intellektuellen Fragen mehr zu stellen: dann läßt sich alles von selbst entziffern. Wer keinen Alkohol trinkt, ist noch sensibel dafür, beobachtet zu werden. Wenn man aber zwei Bier getrunken hat, ist diese Sensibilität verschwunden. Es ist einem dann völlig egal, wer einen beobachtet. Ein Barkeeper darf die Leute eigentlich nicht unterhalten; er ist dazu da, sie zu bedienen. Sie können ihm Fragen stellen. Die typische Frage an mich lautet: Wo kommst du denn her? Ich sage dann: Aus Schöneberg. Ich arbeite nicht unbedingt gerne nachts; aber ab und zu ist es okay. Die Nacht mag ich sehr, denn sie ist mysteriös und viel mehr hysterisch. Wenn die Leute um Mitternacht kommen, zählt nur, ob sie gute oder schlechte Trinker sind, nicht, ob man nun Künstler oder LKW-Fahrer ist. Es gibt aber auch diese „Salzstangen“, die sich wie große Künstler oder Millionäre aufführen. Aber irgendwann merkst du, daß die Probleme haben. Weil ich nachts arbeite, hat mein Job auch seine schlechten Seiten. Ich habe viel mit Alkohol zu tun, und da muß man aufpassen, nicht betrunken zu werden. Nach Feierabend trinkst du auch einen Drink, weil deine Nerven so vollgestopft sind. Als Barkeeper ist man eine Art kleiner Exhibitionist: du wirst beobachtet und mußt auch darstellen. Schlechte Laune darfst du nicht zeigen. Sowieso ist das ein Job, der mit Lust zu tun hat. Die Leute nachts in einer Bar verhalten sich oft ganz anders als tagsüber, denn der graue Alltag ist vorbei. Einsame Leute erkennst du daran, daß sie nicht lachen können. Müde werde ich in der Bar nicht, denn auch wenn ich arbeite, gehe ich erst spät ins Bett. Am liebsten trinke ich im Moment Cuba Libre mit gepreßten Limetten. Nicht alle Leute, die in eine Bar gehen, wollen jemanden abschleppen; das wäre zu pauschal. Viele kommen nur, um etwas zu trinken. Zu Hause können sie auch trinken, aber das ist einsamer. So entscheidest du dich für den Drink in einer Bar – und läßt damit den Zufall in dein Leben ein. Sonst wäre das Leben nicht so attraktiv. Zu Hause trinken ist zwar billiger. Aber da gibt es keinen Zufall.

Foto: Wolfgang Borrs

Piko, 27, Travestie-Callboy

In meine Wohnung kommen Homos, die keine sind. Das sind dann Heteros, die mit einer Frau Sex haben, dabei aber unbedingt gefickt werden wollen. Im Herren-Bordell, wo ich auch noch arbeite, laufe ich als „Herrenmodell“ rum. Ich bin 24 Stunden am Tag zu erreichen. Ich pendele praktisch 24 Stunden zwischen meiner Wohnung und dem Herren-Bordell. Einkaufen geht mein Kollege (der als „Gayboy“ arbeitet und mit Piko zusammenwohnt; d. Red.). Ich habe keinen Freund und will auch keinen. Tagsüber liege ich zwischen den Gästen und Anrufen meistens im Bett und mache gar nichts. Nachts sitze ich unten im Club. Die Zeit zwischen sieben Uhr morgens und ein Uhr mittags existiert für mich nicht. Ich hasse diese Zeit. Ich bin nun mal ein Nachtmensch. Ich kann länger aufbleiben, aber ich kann nicht früher aufstehen. Wann ich das letzte Mal früh aufgestanden bin? Gar nicht. Wenn ich morgens wirklich mal zu irgendeinem Amt muß, dann bleib ich länger wach. Meine beste Zeit fängt morgens um halb zwei an, bis fünf ungefähr. Dann fühle ich mich am wohlsten. Bei der Travestie sind mindestens 90 Prozent hetero. Oder Leute, die vielleicht in Wirklichkeit gar nicht hetero sind, aber hetero leben. Oder es sind Heteros, die es einfach mal ausprobieren wollen, die nicht dazu in der Lage sind, ihrer Frau oder Freundin zu sagen, daß sie mal den Finger im Arsch haben wollen. Dann lassen die sich eben von mir ficken. Aber es ist dann eine Frau, die sie fickt! Sie sehen ja dann auch nur die Frau. Sie sehen die Frau, wenn die auf dem Rücken vor mir liegen und ich sitze zwischen ihren Beinen, um sie zu nageln, sehen die Korsage, wo der Busen eingenäht ist, das Make-up, die Frisur, die Ohrringe. Sie sind dann mit einer Frau im Bett und werden dabei gefickt. Das ist eine ganz eigene Klientel. Nachts rufen oft Leute an, die mal gern als Frau rumlaufen. Nachts kommen die auf die Idee, als Frau rumzulaufen, denn tagsüber haben sie dazu ja gar nicht die Zeit. Diese Leute finden es geil, sich als Frau anzuziehen. Letztens rief nachts auch so einer an, der sich heimlich gern als Frau anzieht. Mit dem bin ich um den Block gelaufen, damit er mal das Gefühl hat, als Frau auf die Straße zu gehen. Was dann noch passiert ist, kann man als Sex nicht bezeichnen.

Foto: privat

Eva Werner, 29, Hebamme

Meine Dienstzeiten sind unterschiedlich. Die Frühschicht fängt um sieben Uhr an und hört um halb vier auf, die Spätschicht beginnt nachmittags um halb drei und geht bis nachts um halb zwölf. Am liebsten habe ich Spätdienst. In der Nachtschicht arbeite ich eigentlich auch gerne, aber wenn die sich alle vier Wochen wiederholt und du fünf Nächte am Stück arbeitest, siehst du alt aus. Irgendwann kriegst du das nicht mehr auf die Reihe. Es geht dir dann einfach nicht gut, kriegst depressive Anwandlungen, bist völlig antriebslos. Du arbeitest nachts und gehst morgens ins Bett. Dann wach ich auf, bin erst mal Matsch und gar nicht fähig aufzustehen. Ich bin dann wie ein Magnet, der ins Bett zurückzieht. Irgendwie mußt du aber was machen, stehst dann natürlich irgendwann auf. Es kommt der Streß: Du mußt noch was machen in deiner Freizeit, die paar Stunden! Dann dusche ich. Und wenn die Geschäfte noch aufhaben, geh ich einkaufen, esse was, und werde wieder müde. Dann bewege ich mich halt zwischen Kühlschrank und Bett. Setze mich vielleicht noch kurz vor die Glotze, und dann ist es schon halb zehn und ich muß mich fertig machen. Selten ruf ich in dieser Zeit jemanden an. Ich bin dann nicht traurig, ich bin einfach nur fertig, nur noch dahängen. Manchmal komme ich zu Beginn der Spätschicht in den Kreißsaal, und da ist das größte Tohuwabohu; da mußt du gleich fit sein. Aber das bist du meistens auch schon, denn du hast ja diesen Rhythmus. Hast tagsüber geschlafen; da bist du abends um zehn natürlich munter. Nachts ist es im Krankenhaus viel ruhiger, weil die ganzen Routineuntersuchungen wegfallen. Nachts sind zwei Hebammen im Dienst und ein Arzt hat Bereitschaft. Der will natürlich nachts auch schlafen. Möglichst. Nachts bist du schon einsamer, aber positiv einsam. Lebst da auf deiner kleinen Insel. Wenn du nichts zu tun hast, dann schläfst du. Ich leg mich dann immer ins Kreißbett, nehm mir eine Decke und versuche zu schlafen. Das ist ziemlich hart. Ich habe ganz stark den Wunsch, auch mal Wehen und die Geburt eines Kindes selbst zu erleben. Gefühlsmäßig verändert eine Geburt Frauen. Kinder haben? Na ja, sie sind ja auch ganz nett... Aber ich würde sie dann auch gerne wieder abgeben.

Foto: Wolfgang Borrs