Student auf geschwächten eigenen Beinen

■ Die Niederlande stellen das elternunabhängige Stipendium auf Darlehen um

Fast ein Vierteljahrhundert lang war es ruhig geblieben auf den Gängen des „Maagdenhauses“. 1969 war das Sekretariat der Amsterdamer Universität von StudentInnen über Wochen besetzt gehalten worden war – als Höhepunkt der Studentenrevolte forderten sie von dort mehr Demokratie und Mitsprache an den Universitäten. Das Revival studentischer Aktivitäten ereignete sich letztes Jahr: Mit Schlafsäcken und Transparenten zogen erneut Studenten in das Gebäude ein und legten Bildungsminister J. M. M. Ritzen ein Forderungspaket vor: Die Studenten kämpften um eine gesicherte Finanzierung ihres Studiums und gleichzeitig um eines der progressivsten Stipendiensysteme Europas. Im Anschluß an die Besetzung kam es bei einer Demonstration von Studenten und Schülern in Den Haag zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten.

Was die Studenten nach langer Zeit wieder einmal auf die Barrikaden brachte, war ein vom Bildungsministerium vorgelegtes Papier unter dem ebenso schönen wie mißverständlichen Namen „Studenten op eigen Benen“ – der Student auf eigenen Beinen. Der Gesetzentwurf sichert dem Studenten nicht etwa mehr Unabhängigkeit zu, sondern in erster Linie weniger Geld. Ab dem kommenden Herbst wird es auch in den Niederlanden vorbei sein mit der bisher üblichen Basisunterstützung.

Wie sonst nur in Dänemark und ehemals auch in der DDR gibt es in den Niederlanden – noch – ein elternunabhängiges Stipendium für jedermann. Es beträgt etwa 550 Mark monatlich für jeden Studenten, mußte bisher nicht zurückgezahlt werden und kann zudem durch zinslose Darlehen aufgestockt werden. Künftig soll ein ganzes Paket verschärfender Maßnahmen Studenten zum schnellen Studium zwingen. Nach Lesart des Bildungsministeriums geht es darum, eine höheren Qualität der Universitäten zu sichern. Die Basisunterstützung wird in den kommenden Jahren abhängig vom elterlichen Einkommen sein. Allerdings soll weiterhin ein staatliches Darlehen für jeden Studenten zugänglich sein. Und: Zurückzahlen soll nur, wer ausreichend verdient. Nach 15 Jahren sollen eventuell noch ausstehende Studienschulden getilgt werden.

2.700 Mark Gebühren

Ansonsten soll – die staatlichen deutschen Uni-Reformer lassen grüßen – künftig schneller studiert werden: Wer nicht nach jedem Studienjahr 25 Prozent der vorgesehenen Studienleistungen vorweisen kann (in jedem der vier Regelstudienjahre sollten Studenten 42 Studienpunkte erarbeiten – nach deutscher Rechenart in der Regel sechs Seminarscheine), muß damit rechnen, daß seine Basisunterstützung in ein Darlehen umgewandelt wird. Wer in der vorgesehenen Regelstudiendauer von vier Jahren fertig wird, erhält eine Prämie von 2.000 Gulden (etwa 1.800 Mark). Allen anderen bleibt noch ein Jahr, bis das Lernen teurer wird: Wer nach fünf Jahren immer noch studiert, soll je nach Universität mindestens 2.700 Mark Studiengebühren bezahlen. Auch Studenten ab 27 Jahren sollen tiefer in die Tasche greifen müssen. Und die Mobilität hat ein Ende: Konnte bislang jeder Student während des ganzen Jahres umsonst Busse, Trams und Bahnen benutzen, gilt die „OV-Karte“ künftig nur noch wahlweise am Wochenende oder in der Woche und nicht mehr in den Semesterferien.

Noch ist unklar, wie viele Ausnahmen das neue Gesetz letzten Endes doch zulassen wird: Momentan verhandeln studentische Funktionäre an fast allen Universitäten um Ausnahmeregelungen. Einige Verhandlungen waren bereits erfolgreich. Das Sparpaket als solches konnte freilich auch durch die Vielzahl von Besetzungen, Demonstrationen und Kampagnen im vergangenen Jahr nicht abgewendet werden. Die Studenten hatten gewarnt, das traditionell auf Chancengleichheit basierende niederländische Bildungswesen zu einer Elite-Institution umzufunktionieren. Junge Leute würden unweigerlich in die finanzielle wie psychologische Abhängigkeit von ihren Eltern getrieben. Wegen der desolaten Haushaltslage in Den Haag verfingen die Argumente nicht. Hinter Minister Ritzens verlautbarter Zielsetzung der „höheren Qualität“ der Ausbildung verbirgt sich wohl eher der Blick ins eigene Portemonnaie: Allein mit der Abschaffung der Basisunterstützung hofft der Minister, 500 Millionen Mark im Jahr zu sparen. Diese Sparmaßnahme ist allerdings gleichzeitig ein Schritt zu einer Studienfinanzierung nach völlig anderen Prinzipien – nach deutschem Vorbild und zum Nachteil für die Studierenden. Jeannette Goddar