Mehrarbeit ohne Lohnausgleich

Letzter Teil der taz-Serie: Neue Arbeitszeitmodelle – Abschied von der Fünftagewoche / Gegen den Strom: Schultheiss und IBM verlängern die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten  ■ Von Hannes Koch

Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit und die freien Wochenenden sind auslaufende Modelle. Einige Unternehmen arbeiten bereits samstags und sonntags – um die Maschinen besser auszulasten und konkurrenzfähig zu sein. Dieser Flexibilisierung steht die Gewerkschaftsforderung nach Verkürzung der Arbeitszeit gegenüber. Absicht und Hoffnung: Existierende Arbeitsplätze werden gesichert, neue geschaffen. In der Praxis gehen beide Strategien meist eine enge Verbindung ein. Wem die neuen Modelle dienen und wie sie in der Praxis funktionieren, hat die taz am Beispiel von Berliner Betrieben und Verwaltungen untersucht.

Beim Bierhersteller Schultheiss AG hängt der Haussegen schief: Die Unternehmensleitung hat die Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit gekündigt, deren Inhalt die Umsetzung der 38-Stunden- Woche darstellt. Betriebsratsvorsitzender Bernd Schepanski: „Das bedeutet faktisch die Abschaffung der Arbeitszeitverkürzung.“ Auf den ersten Blick bringt der Vorstoß nur eine marginale Veränderung mit sich. Bisher wurde die Verkürzung von 40 auf 38 Stunden in Form von zwölf freien Tagen pro Jahr umgesetzt. Jetzt sollen die Beschäftigten nach dem Willen der Vorstandsetage jeden Freitag zwei Stunden früher Feierabend haben. Doch besonders für die etwa 110 MitarbeiterInnen des Außendienstes bedeutet das eine entscheidende Verschlechterung.

Schepanski: „Im Außendienst ist es kaum möglich, freitags früher Schluß zu machen.“ Die Vertreter, die das Bier an Gaststätten verkaufen, könnten nicht um 15.00 Uhr ihre Kundengespräche abbrechen. Ergebnis: Die Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden lasse sich mit der neuen Regelung nur schwer umsetzen, was faktisch auf Mehrarbeit ohne Lohnausgleich hinauslaufe. Schultheiss-Vorstand Michael Lemcke will diesen Vorwurf nicht auf dem Unternehmen sitzen lassen. Die Arbeitszeitverkürzung könne am Freitagnachmittag durchaus umgesetzt werden. „Es ist für unsere Kunden plausibler, die Arbeit am Freitag früher zu beenden, als daß die Außendienstmitarbeiter ganze Tage nicht erreichbar sind.“ Angesichts der harten Konkurrenz in der Bierbranche sei es nicht zu tolerieren, daß die VertreterInnen an ihren freien Tagen für die Kundenbetreuung komplett ausfielen. Dieses Manko sei auch durch Ersatzarbeitskräfte, die in dem jeweiligen Vetriebsgebiet nicht Bescheid wüßten, nicht auszugleichen.

Schultheiss hatte 1993 ein Absatzplus von zehn Prozent, baut aber im Zuge der Schließung des Kreuzberger Werkes 118 Arbeitsplätze ab. Mit den Rationalisierungsbestrebungen habe die Aufkündigung der Arbeitszeitregelung für den Außendienst aber nichts zu tun, so Lemcke. Der Betriebsrat will die Änderung nicht ohne Gegenwehr hinnehmen: Verhandlungen sind im Gange.

Was Schultheiss beabsichtigt, ist beim Computer- und Software- Hersteller IBM schon Wirklichkeit. Beim Tochterunternehmen Informationssysteme GmbH wurde die Arbeitszeit von den einstmals tarifvertraglich vereinbarten 36 auf 38 Stunden heraufgesetzt – ohne Lohnausgleich. Beschäftigte, die auf der 36-Stunden- Woche beharren, müssen laut neuem Haustarifvertrag einen Lohnabzug hinnehmen, der zwei Arbeitstunden entspricht. In Berlin sind davon 500 Beschäftigte betroffen.

Die einstige Renommierfirma befindet sich in einer schweren Krise. Seit 1986 wurde die Beschäftigtenzahl bundesweit von 27.000 auf etwa 20.000 reduziert. Um bei der Regelung der Arbeitsverhältnisse unabhängig zu sein, trat IBM aus dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall aus, strukturierte den Konzern in kleinere Tochterunternehmen um und schloß für die Informationssysteme GmbH mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) den jetzt gültigen Haustarif ab. Der Abschluß wurde möglich, weil IBM nach dem Verbandsaustritt in der Wahl seiner Verhandlungspartner frei war und die IG Metall damit umgehen konnte. Die ausgebootete IG Metall bereitet jetzt Musterklagen von Beschäftigten gegen den Haustarifvertrag vor. Andrea Lang von der Berliner Metallgewerkschaft vertritt die juristische Position, daß der Abschluß nur für die in der DAG organisierten IBM-Beschäftigten gelte, nicht aber für IG-Metall-Mitglieder. Die Strategie, Kosteneinsparungen durch massive Entlassungen zu erreichen und den verbleibenden Beschäftigten mehr Arbeit ohne Lohnausgleich aufzubürden, beseitige nicht die Ursachen der Krise, kritisiert die Gewerkschaft. Dem Unternehmen fehle es an „attraktiven Produkten und zukunftsweisenden Investitionsentscheidungen“.