Boßlos glücklich

Es gibt Menschen, die nichts mehr fürchten als eine Festanstellung. Ein Portrait dreier Lebenskünstler  ■ Von Michaela Schießl

Als Dieter K. aus H. den Fuß endlich in der Tür hatte, kamen ihm doch Zweifel, ob seine Mutter das gemeint hatte mit ihrer Litanei vom „energischen Schritt ins Arbeitsleben“. Der Fuß schmerzte im Türspalt – von innen drückte eine wütende Frau dagegen. „Verschwinden Sie, hauen Sie ab, ich will nichts kaufen“, schrie sie ihn an. Da ging es durch mit dem Berufsanfänger. Mit einem Ruck stieß er die Haustür auf, warf der Frau seine fünfzehn Zeitschriften an den Kopf und empfahl sich fluchend. Seine Karriere als Drücker, erst drei Stunden alt, war abrupt beendet. Die Bilanz: 150 Mark Schulden für Ware und Kurzausbildung.

16 Jahre alt war Dieter K. damals. Doch der Drang zum wechselhaften Freiberufler hat den heute 37jährigen trotz dieser Pleite nie mehr verlassen. „Ich krieg' echte Panik bei der Vorstellung, jahrelang das gleiche zu tun, im geregelten Acht-Stunden-Rhythmus“, sagt er damals wie heute. Das eine Mal, wo er sich während seiner Schreinerlehre zweieinhalb Jahre lang hat herumkommandieren lassen müssen, reicht ihm fürs Leben. „Seither nehm' ich mir die Freiheit zu gehen, wenn mir was nicht paßt.“ Oder wenn's langweilig wird. Oder sich die Sache nicht lohnt. Oder er einfach keine Lust hat und viel mehr Bock auf Süden. „Ich mein' das nicht politisch“, beteuert Dieter K. Zwar verstehe er sich als Linker, stamme jedoch eher von Kiffern und Spontis ab als von strammen Politfreaks. Ein Wolfgang Neuss, ein Verweigerer aus politischer Überzeugung, sei er, sorry, nun mal nicht. Aber immerhin ist es ja schon was, sein eigener Herr zu sein.

So eigen gar, daß er es bis heute ablehnt, Arbeitslosengeld zu kassieren, selbst wenn er berechtigt ist. Auch Bafög bezog er nur vier Semester lang. Dann hätte er die Zwischenprüfung vorweisen müssen, was nicht klappte, weil er unbedingt einem Freund helfen mußte, ein Theatergebäude zu entwerfen. Wer will dem Bafög-Amt das erklären? „Ich nicht. Keinen Bock auf Papierkram und Bürohengste“, sagt Dieter. Lieber ein wenig hier schreinern und dort bohren, morgens um sechs Straßen aufreißen oder nachts um drei in Bars bedienen. „Ich glaub', ich arbeite mehr als Festangestellte, aber ich kann es selbst bestimmen. Und muß nicht mit dem Finanzamt teilen.“

Dieter K. ist in seinem Individualismus ein Überzeugungstäter. Kommt ihm eine Idee, will er sie umsetzen. Ob die Sache klappt oder nicht, ist zweitrangig. Wichtig ist: Kurzweil und Umtrieb. Nichts fürchtet er mehr als eine Festanstellung. Die Eltern, die sich stumm und artig kaputtmalocht haben für einen anonymen Boß, sind für ihn Abschreckung genug.

Doch seine Freiheit hat ihren Preis: Konsumverzicht. Statt schöner zu wohnen, lebt der Architekturstudent im 20. Semester in einem kleinen Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Ein Schrank, ein Tisch und ein Futon. Kein Sofa, keine Sitzgruppe, kein Auto. Sein Geld steckt er in neue Projekte. Vor drei Jahren hat er ein Architekten-Planungsbüro eröffnet. Kaum war es fertig, wurd's dem Macher wieder langweilig. Zur Abwechslung kaufte er sich in eine Szene-Bar ein. An ein gesetzteres Leben, an Sicherheit oder das 936-Mark-Gesetz denkt Dieter K. nicht im Traum.

Günther N. aus Berlin hingegen, überzeugter Freiberufler und Luftikus, hat neuerdings Alpträume. „Da wach' ich mitten in der Nacht auf und denk': Mensch, jetzt bis du 34, wie soll das nur weitergehen.“ Dabei war seine letzte Idee vielversprechend. 1989 gründete er einen Verein, der Projekte in Lateinamerika fördern wollte. „Ausgerechnet dann fiel die Mauer, und seither fließen die Gelder in den Osten.“ Der Sprachbegabte verlegte sich auf Übersetzungen. „1990 habe ich das einzige Mal richtig viel verdient. Allerdings habe ich jahrelang die Existenz des Finanzamts negiert, die aber meine nicht.“ Mit fürchterlichen Geldforderungen traten die Steuereintreiber nun an ihn heran. Er mußte umziehen, um den Vollstreckungsbeamten zu entgehen.

Immerhin hatten die Häscher keinen Wind bekommen von seinen vorigen Aktivitäten. Da lief er als „Treppenterrier“ durch die Schluchten der Hochhaussiedlungen und verkaufte Sicherheitsschlösser. „Das war eine tolle Erfahrung. Ich hab' das mehr als Theaterstück gesehen.“

Taxifahrer war er, Krankenhelfer, Briefträger, Marketingberater, Softwareverkäufer und Gelegenheitsjournalist. Kaum hatte der Soziologiestudent einen Pfennig übrig, jettete er nach Lateinamerika. Drei Sommer lang, von 1981 bis 1983, plückte er Kaffee und Baumwolle in Nicaragua. Ein Stipendium verschlug ihn nach Uruguay, das mittlerweile seine zweite Heimat geworden ist. Sofort begann er zu handeln. Fortbildungsprojekte hat er angeleiert, ein bißchen mit Grundstücken gemakelt und sich schließlich nahe Montevideo selbst ein Stück Land am Meer gekauft. Vielleicht will er im November endgültig dort hinziehen, um endlich zu relaxen. „Freiberufliche Arbeit hat den großen Nachteil, daß man niemals fertig ist. Stift fallen lassen und heimgehen ist nicht möglich.“ Natürlich, niemals will er was anderes machen, alles, bloß nicht auf einen Job festgenagelt sein: „Lieber Sorgen als Langeweile. Ich kann mich einfach nicht unterordnen. Die Lebensqualität ist ungemein höher, wenn man sein eigener Boß ist.“

Irgendwann zwischen jobben, Baumwollpflücken und urlauben hat der Boß vergessen, sich an der Uni zurückzumelden. Die Sicherheit des Studentenstatus war dahin. Günther meldete sich arbeitssuchend, was bedeutet: eine billige Krankenversicherung. Auf Kassenkosten ließ er sich sein Gebiß erneuern. „Solche Sachen mußt du draufhaben, wenn du in der Schattenwirtschaft lebst.“

„Das ist das A und O des Lebenskünstlers“, meint Klaudia K. Der Studentenstatus zum Beispiel ist ungeheuer wichtig, wegen Krankenversicherung, Bafög und Vergünstigungen aller Art. Pünktlich kehrte sie jedes halbe Jahr vom israelischen Kibbuz nach Berlin zurück, um sich wieder einzuschreiben, fristgemäß legte sie ihre Zwischenprüfung ab, um weiter gefördert zu werden. Nach Jahren, als sie des Treckerfahrens überdrüssig wurde, kam sie zurück und schloß ihr Studium ab. Seither achtet die Germanistin akribisch darauf, immer wieder so lange festangestellt zu arbeiten, daß sie Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.

Ansprüche, die man, zum großen Unglück der passionierten Weltenbummlerin, meist in Deutschland erwerben muß. Nur einmal konnte sie Hobby und Arbeit verbinden: Zweieinhalb Jahre arbeitete sie als Deutschlehrerin im chinesischen Nanjing. Dort waren Stellen freigeworden, nachdem die Angestellten des Deutschen Entwicklungsdienstes nach dem blutigen Ende des Studentenaufstandes ausgereist waren.

Die reinen Lusttrips jedoch mußte Klaudia K. mit Nebenjobs finanzieren. „Einmal haben wir von der Polizei alte Lkws gekauft, sind damit nach Afrika getuckert und haben sie in Togo verkauft.“ Das war ihr schon ein wenig unheimlich. Witziger war die Schmuggelnummer: Videorecorder sollten nach Griechenland. „Da hab' ich mich einfach furchtbar bieder angezogen, voll auf Neckermann, und bin mit den Recordern im Gepäck wie Witwe Bolte durch den Zoll.“

Schlau muß man sein, findet Klaudia, wenn man sich nicht totarbeiten will. Und praktisch veranlagt. Als sie in Berlin keine Wohnung fand, fing sie kurzerhand als Sekretärin bei einer Hausverwaltung an. Wochen später hatte sie sich eine Traumwohnung zugeschanzt und kündigte den Job. Als sie später nach München umzog, verkaufte sie den Mietvertrag – für 30.000 Mark.

Klaudia ist zufrieden mit ihrem Lebensstil. Doch gegen den Mann ihrer Freundin kommt sie sich bieder und arbeitsam vor. Für den ist Arbeit ein großes Spiel: Mit Börsenspekulationen, Schachspielen und Roulette verdient er seinen Teil des Lebensunterhalts für die vierköpfige Familie. Und sollte die Kugel mal nicht rollen, setzt er sich eben ins Taxi.