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Umverteilung von Arbeit wie auch ökologischer Umbau der Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille  ■ Von Rudolf Hickel

Der Schock, den die bisher tiefste Rezession in Deutschland ausgelöst hat, führt derzeit zu falschen Schlußfolgerungen. Nach dem Motto, bloß schnell wieder einmal davongekommen zu sein, erfährt die Illusion einer neuen Etappe aggressiven Wirtschaftswachstums als Problemlöser der Zukunft geradezu materielle Gewalt.

In diesem fortschrittslähmenden Klima der Beschwörung eines (exportorientierten) Wirtschaftsaufschwungs werden grundlegende Fehlentwicklungen verdrängt: Es ist einerseits gefährlich, darauf zu hoffen, mit der Forcierung der privatwirtschaftlichen Kapitalbildung etwa über den Abbau sozialstaatlicher und ökologischer Regulierungen die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen zu können. Und: Unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit nimmt die Bereitschaft zu, Wirtschaftswachstum in der Hoffnung auf neue Arbeitsplätze gegen eine weitere Belastung der Umwelt zu tauschen. Dieses Nullsummenspiel zwischen Ökonomie und Umwelt entpuppt sich jedoch als teuflischer Trugschluß. Eine dauerhafte Bewältigung der Arbeitslosigkeit ist durch die Entfesselung der Wachstumswirtschaft nicht möglich.

Die für die Arbeitslosigkeit und Umweltkrise gleichermaßen geltenden Ursachen legen den dringenden erforderlichen Umbaubedarf des Wirtschaftssystems offen. Denn trotz der sich abzeichnenden konjunkturellen Besserung wird der Abbau der Arbeitsplätze allein im industriellen Bereich um zirka 500.000 fortgesetzt werden. Über die Konjunkturen hinweg ist seit Anfang der siebziger Jahre die Sockelarbeitslosigkeit immer wieder gestiegen. Die Ursachen liegen auf der Hand: Der industrielle Sektor, bisher Träger der Wachstumswirtschaft, speckt einerseits ab. Andererseits werden dort massive Rationalisierungen vollzogen. Der Zuwachs an Produktion wird durch Produktivitätssteigerungen ermöglicht – also jobless growth dominiert. Während der industrielle Sektor im langfristigen Trend Arbeitsplätze abgibt, kann der erwerbswirtschaftlich organisierte Dienstleistungssektor die in der Industrie freigesetzten Beschäftigten nicht mehr allein auffangen. Auch dort, etwa im Bankensektor, wird rationalisiert, und gigantische Produktivitätssteigerungen stehen noch bevor. Die neoklassische Lobpreisung auf die Marktkräfte zur Stärkung des Wirtschaftswachstums laufen beschäftigungspolitisch ins Leere. Vielmehr stellen sich zwei Kernaufgaben der Umgestaltung von Arbeit:

– Die rigorose Verkürzung der Arbeitszeit steht weiterhin an oberster Stelle auf der beschäftigungspolitischen Agenda. Schließlich läßt sich zeigen, daß vor allem durch die Wochenarbeitszeitverkürzung seit 1984 – trotz der dadurch ausgelösten Rationalisierungseffekte – über eine Million Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen wurden.

– Die Gesamtwirtschaft und mit ihr die Beschäftigung ist durch einen Widerspruch gekennzeichnet: Im traditionell gewinnwirtschaftlichen Bereich der Produktion vollzieht sich im längerfristigen Trend ein Rückgang der Zahl der Beschäftigten, der auch durch Wachstumsforcierung nicht umzukehren ist. Dagegen gibt es in wachsendem Ausmaß Bedarf an Arbeit, die jedoch unter gewinnwirtschaftlichen Kriterien nicht genügend erschlossen wird. Kommunikative, soziale, pflegerische und kulturelle Dienstleistungen werden dringend gebraucht. Der Staat kann sie unter dem Druck seiner Finanzkrise nicht gewährleisten. Die Privatwirtschaft hingegen sieht zumindest erst einmal keine bzw. zu geringe Gewinnchancen. Daraus folgt: Zwischen Markt und Staat sind diese öffentlich zu gewährleistenden Beschäftigungsfelder zu organisieren. Viele Beschäftigungsgesellschaften in den neuen Bundesländern weisen in diese Richtung. Das Los der Arbeitslosigkeit wird den Betroffenen erspart und die Arbeit in gesellschaftlich und wirtschaftsstrukturell nützlichen Feldern der Produktion eingesetzt. Auch Westdeutschland wird sich auf einen zunehmenden Teil der Beschäftigung in öffentlich gewährleisteten Produktionsbereichen einstellen müssen.

Diese Veränderung der Arbeitsgesellschaft fügt sich nahtlos in die Forcierung der Politik des ökologischen Umbaus ein. Arbeit muß den umweltbelastenden Produktionsbereichen entrissen werden. Mit einer konsequenten Ökologisierung der Wirtschaft wird das bisherige Wirtschaftswachstum nicht mehr möglich sein. Viele Untersuchungen zeigen allerdings, daß dennoch die Beschäftigungsmöglichkeiten eher zu- als abnehmen. Der ökologisch verträgliche Entwicklungstyp ist eben arbeitsintensiver.

Schließlich können sich mit einem konsequenten ökologischen Umbau der deutschen Wirtschaft auch die Standortbedingungen zum Besseren verändern. In der phantasielosen Standortdebatte der Bundesregierung wird der Abbau ökologischer Regulierungen und entsprechender Kosten verlangt, um die Chancen im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Diese katastrophale Strategie des Wirtschaftswachstums auf der Basis einer sterbenden Umwelt übersieht: Die bisher noch viel zu schwachen ökologischen Eingriffe in die Produktion und Konsumtion sind die Folge des Wirtschaftens mit der Natur als „Gratisproduktivkraft“ (Marx). Der Produktions- und Lebensstandort Deutschland hat jedoch als dichtbesiedeltes Land nur dann eine Zukunft, wenn die Ökologisierung der Wirtschaft intensiviert wird. Dazu gehört auch der Einsatz für hohe Ökostandards innerhalb der EU.

Die ökonomischen Wirkungen wachsenden Drucks in Richtung ökologischer Umbau können segensreich sein. Unternehmen und staatliche Forschungseinrichtungen müssen sich auf die Entwicklung neuer Produkte und Produktionstechnologien konzentrieren. Damit ließen sich auch die Chancen auf den Weltmärkten verbessern. Nur wenn sich die Dominanz der deutschen Wirtschaft auf ökologische Produktinnovationen stützt, ist in diesem engen Bereich die Rolle als Weltmeister gerade noch erträglich.

Ökologischer Umbau und Umstrukturierung der Arbeitsgesellschaft bilden die zwei Seiten der Medaille „dauerhafte Entwicklung“. Das geht allerdings nur mit Mut zu einer Reform der Wirtschaft an Kopf und Gliedern. Dazu gehört auch die Reform der Unternehmensverfassung in Richtung demokratischer Strukturen statt Hierarchien und verbindlicher ökologischer Zielkontrolle sowie Abbau von Marktmacht.