Die Passionsfrüchte des Herrn

■ Der Bremer Domchor, unterwegs als Botschafter der heimischen Sangeskunst: ein A-cappella-Reisebericht

Der Bremer Domchor gehört zu den reiselustigen Sangesgemeinschaften im Lande: Von Lettland bis Amerika sind seine Lieder schon erschallt. Unter Leitung von Wolfang Helbig ging es zuletzt vor vier Wochen quer durch die Vereinigten Staaten. Was man da am besten in den Koffer packt, und was man so alles mitbringt, erzählten einige der Sängerinnen und Sänger der taz im Quartett.

Was erwartet eigentlich ein Publikum in den USA, wenn der Bremer Domchor kommt?

Hannelore Mis (Sopran): Das war ganz unterschiedlich in den großen und kleineren Städten. In Allentown, wo in der Nähe der berühmte Bach Choir of Bethlehem arbeitet, der älteste Bachchor Amerikas, da waren sehr viele Interessierte, die hören wollten: Wie macht denn nun ein deutscher Chor die Johannes-Passion?

Karin Puschke (Sopran): Die haben vor allem vermutet: Die Deutschen werden doch wohl Bach so musizieren, wie Bach sich selbst hören wollte oder seinerzeit gehört wurde – wir würden sagen: historische Aufführungspraxis. Darauf haben sie dann sehr genau gehört. Davon haben sie auch ein Stück mitgekriegt. Wir haben zwar nicht auf alten Instrumenten musiziert, aber wir versuchen doch, dem sehr nahe zu kommen. Wir hatten jetzt leider kein Barockorchester dabei, sondern ein Kammerorchester in hoher Stimmung. Aber die Leute vom amerikanischen Chor sagten, sie hätten mit alten Instrumenten noch nicht gesungen, höchstens mal eine Gambe dabei gehabt in der Johannespassion. Jetzt wollen sie mal nach Deutschland kommen, um mehr davon zu hören.

Jan Fischer (Tenor): Das bestätigt meine These, daß man sein Publikum auch erziehen muß. In Allentown bekommen die Leute eben jährlich die H-moll-Messe vorgesetzt. Da merkte man tatsächlich: Die Leute lesen mit, wissen, an welcher Stelle im Werk wir gerade sind. Das war fast so ähnlich wie in Bremen, da hören die Leute zu und gehen mit.

Michael Werbeck (Baß): In Riverside in New York war hingegen der Aufführungsort ein bißchen unglücklich gewählt. Das lag mitten in Harlem, und da gehen die Leute eben nicht mehr abends aus. Da liefen wir irgendwo unter „ferner liefen“ im normalen Konzertprogramm der Gemeinde. Wenn es dann noch heißt „Free Admission“, fragen sich die Leute vielleicht, was kann das schon groß sein?

Fischer: Da laufen die Leute dann auch am Anfang wieder raus, wenn sie merken: Das ist nicht unser Ding. Das war schon störend.

Werbeck: Da haben wir vielleicht auch ein bißchen das Konsumverhalten der Amerikaner zu spüren bekommen.

Fischer: Wir hatten eben keine Cheerleader vorweg, in der Pause gab's auch keine Werbung...

Verstehen Sie sich da auch ein bißchen als Botschafter, wenn Sie Bach mit in die Staaten nehmen?

Puschke: Es sollte schon ein deutscher Komponist sein. Wir hätten auch furchtbar gerne Messias in englisch gesungen, aber das wäre ja wie Eulen nach Athen tragen.

Werbeck: Außerdem war ja gerade Passionszeit, da lag die Johannes-Passion nahe.

Puschke: Und das war auch gut so. Das hat die Leute irgendwann gepackt. Da haben sie gemerkt: da wird nicht nur rumgetönt, sondern spannende Musik gemacht; da waren sie still und angefaßt, und manche hatten Tränen in den Augen.

Werbeck: Das liegt natürlich auch an der Johannes-Passion, die eine fast opernhafte Dramatik beinhaltet. Dieses Wechselspiel zwischen dem Evangelisten, den Solisten, dem Chor – das war wirklich ergreifend.

Wieviel müssen die einzelnen Mitglieder für solche Reiseunternehmen investieren – braucht es da nicht auch Sponsoren?

Puschke: Wir haben ja nur auf Kollektenbasis gesungen, aber davon konnten wir diesmal nicht einmal die Busse bezahlen. Jeder mußte rund tausend Mark dazuzahlen, das ist schon an der Schmerzgrenze. Der deutsche Musikrat hat uns zwar einen guten Zuschuß gegeben. Und wir mußten zum ersten Mal ein paar Bremer Firmen ansprechen; meistens gab es Absagen.

Sie meinen, das hat damit zu tun, daß es sich um einen Kirchenchor handelt?

Puschke: Sicherlich auch. Wir sind kein eingetragener Verein, der sagen kann: Wir leben ja nur von unseren Mitgliedsbeiträgen. Mancher sagt immer noch: Ach komm, die Kirche hat doch genug Geld, soll die doch zahlen. Aber manche wußten auch schon, daß wir der älteste Chor in Bremen sind und ein wichtiger Kulturträger in der Stadt.

Was nehmen Sie, abgesehen von den roten Zahlen, denn als Gewinn solcher Reisen mit nach Hause?

Werbeck: Chorisch können wir da nicht viel mitnehmen. Aber vom Gottesdienst her war es beeindruckend: Der Zusammenhalt, mit dem die dort ihre Gemeinde betreiben. Die Gemeindezentren waren dort viel mehr als nur Kirche. Kindergarten, Schule, Altenzentrum, Hilfe für Obdachlose.

Fischer: Wir profitieren natürlich auch von jeder Reise durch die Aufführungspraxis. Wir sind ja kein Profichor. Mit jeder Aufführung mehr wachsen wir und gewinnen an Sicherheit. Das ist etwas, das diesen Chor auszeichnet, und die Musik von Wolfgang Helbig.

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