Eulenspiegelei auf literarisch

■ Über einen zwanzigminütigen „Buchverriß“ bei Thealit

Sie trug eine verfremdete Till-Eulenspiegelkappe, als sie, rot geschminkt in einem hautengen schwarzen Anzug, ihre kleine Vorstellung am Freitag im Frauenkulturhaus Thealit begann. Und tatsächlich war die Performance der Berlinerin Ursula Biether eine rechte Eulenspiegelei. Unter dem Titel „Demontage des traditionellen Buches“ zerriß die Künstlerin geduldig und todernst 20 anonyme Bücher, ließ die herausgerissenenen Seiten rechts herunterfallen und stapelte die Einbände links auf einen Tisch. Dazu lief in einer Tonband-Endlosschlaufe die kunstvoll monotone Limbindi-Musik einer Eingeborenen aus Kamerum. 20 Minuten dauerte die bizarre Zeremonie, bis alle Bücher erledigt waren und die Künstlerin zum Schluß die Einbände zu einem Muster ordnete, um dann einen ersten und letzten Blick ins milde lächelnde, kleine Publikum zu werfen. Ende. Aus. Die Interpretationen dürfen beginnen.

Während Ursula Bierther mit ihrem Mini-Happening eine Art ethnische Kritik an der europäischen Schriftkultur intendierte, zeigte sie doch vor allem, wie wenig geneigten Zuschauerinnen genügt, um sich allerlei Gedanken über das „traditionelle Buch“ zu machen: daß zum Beispiel ein Tabu über der Bücherzerstörung liegt; sei es, weil man das einzelne Buch naiverweise als Individuum empfindet, sei es, weil die Zerstörung fast zwangsläufig an Bücherverbrennung und Zensur erinnert.

So hatte es auch während der Performance so ausgesehen, als wehrten sich die einzelnen Buchseiten gegen ihr Herausgerissenwerden, als sei der maskierten Künstlerin erst im Zuge der Gewöhnung die Hand ruhiger geworden und das Gewissen leichter, so daß sie schließlich ganze Seitenbündel hatte packen können. Böller, die jemand zufällig gleichzeitig mit dem Zerstörungsritual auf der Straße zündete, hatten dieses passend durch Assoziationen an eine Exekution ergänzt. Erinnerungen an eigene Tagebuchvernichtungen wurden ausgetauscht, ebenso wie Erinnerungen an Bücher, die klammheimlich in den Mülleimer gewandert waren. Alles ganz nett.

Die Thealit-Reihe „künstliche Führungen durch Buch und Schrift - Maschinen“, in deren Rahmen die „Demontage des traditionellen Buches“ stattgefunden hatte, stellt allerdings insgesamt höhere und raffiniertere Ansprüche an ihre einzelnen Veranstaltungen. Alle zwar spielen sie gern mit der Umgewichtung von Form und Inhalt, sehen sie das Buch als „Vermittlungsmaschine“, den Text als „Schrift“, einen möglichen Sinn in möglichst weitgespannten Assoziationen.

Am 6. Mai wird Ulrike Bergermann einen Vortrag zur Schriftgeschichte halten, dergestalt, daß ihr Text an die Wand projeziert in verschiedenen Schrifttypen von den Besucherinnen selbst gelesen werden soll. Am 8. Mai führt Sabine Schönfeldt mit einem literarischen Text in Friederike Janshens Ausstellung „Gesichtet – Umgebungsabhängige Merkmale“ ein. Janshen zeigt die Beispielsillustrationen aus einem Buch zur digitalen Bildanalyse, bei denen es sich erstaunlich oft um Frauengesichter handelt, was nichts bedeuten soll und doch alles sagt. Oder?

Cornelia Kurth