■ Christoph Zöpels Rücktritt wg. „Tempolimit“
: Wer schwach ist, bewegt sich wenig

Das waren noch Zeiten, als das Führungspersonal der SPD die innerparteilichen Unstimmigkeiten vor aller Öffentlichkeit mit wirklich großen Gesten illustrierte. Gar nicht so lange her, daß Lafontaine den ihm angebotenen Parteivorsitz einfach zurückwies und die Garde der fünfzigjährigen Young Boys, genannt Enkel, die Öffentlichkeit mit Fehden aller Art unterhielt. Verglichen mit diesen Szenarien wirkt der Rückzug von Christoph Zöpel aus der Programmkommission blaß. Aber eine ernste Sache ist er doch.

Ein halbes Jahr, seit dem Parteitag im letzten November, herrschte Eintracht in der SPD. Es ist keine besonders kühne Prophezeiung, daß der Zöpel-Rücktritt nicht die Eröffnung eines sozialdemokratischen Richtungskampfes um das Regierungsprogramm sein wird, auch wenn es heute im Parteivorstand gelegentlich heftig zugehen sollte. Zöpel selbst, der in der Kommission den ökologisch-reformfreudigen Teil der SPD repräsentierte, hat durch seine Mitarbeit und den späten Rückzug die begrenzten Spielräume kenntlich gemacht. Es soll öffentlich klar sein, daß Christoph Zöpel nicht glücklich ist mit dem mehr als schaumgebremsten Öko-Kurs und dazu nicht ja sagen will. Daß niemand imstande, ja nicht einmal willens ist, eine Alternative zum Scharpingschen Wahlkampf-Konzentrat Arbeitsplätze und Sicherheit zu finden, das allerdings ist im Verlauf der Kommissionsarbeit und der spärlichen Diskussion darüber genauso deutlich geworden. Bis zum 22. Juni, wenn der Parteitag dem Regierungsprogramm seinen Segen geben wird, wird bei Tempolimit und Mineralölsteuer sicher noch allerlei herumpoliert. Wesentlich verändern wird das die sozialdemokratische Botschaft an die Wählerschaft nicht.

Eine ernste Sache ist Zöpels Rücktritt also nicht, weil er auf einen großen Konflikt à la Blauhelm oder Asyl hinweist. Daß die SPD die Union auf dem Feld der Wirtschaftsfragen schlagen will, daß sie bei der verunsicherten Anhängerschaft der Union die entscheidenden Punkte machen will, daran wird niemand im Ernst etwas ändern wollen. Es mögen viele aber auch nicht so recht mitziehen, und wenn einer gleich spektakulär zurücktreten muß, nur um unmißverständlich auf ein Unbehagen hinzuweisen, das er mit großen Teilen, vielleicht einer Mehrheit in der SPD teilt, dann zeigt die neue Eintracht unter Scharping eben ihre Schwäche. Die Partei hatte die Hahnenkämpfe satt, und ein Wahljahr diszipliniert. Zu solideren Fundamenten hat die jetzige Geschlossenheit bis jetzt nicht geführt. Und Fundamente schwanken schnell, wenn Mißerfolg ins Haus steht.

Tempolimit, Ökosteuern, Zöpel – das alles wäre nämlich anders gelaufen, wenn die halbjährige Erfolgsgeschichte nicht schon seit vier Wochen arg angekratzt wäre. Die Verwirrung um die sozialdemokratische Ergänzungsabgabe und der konjunkturelle Silberstreif haben bloßgelegt, daß für Siegesfeiern vor dem 16. Oktober wahrhaftig kein Grund besteht. Kohl holt auf, und nicht deshalb, weil die SPD beim Tempolimit wackelt. Ob die SPD die zerrütteten Staatsfinanzen wirklich sanieren, die Wirtschaft modernisieren, Arbeitsplätze schaffen, den Sozialstaat umbauen kann – in diesen Kernfragen zweifelt das Publikum seit dem Streit um die zusätzlichen Steuern für die „Besserverdienenden“ erneut. Die hauptsächliche Schwäche von Scharpings Wahlkampfkonzept ist nicht, daß die Ökologie zu kurz kommt. Vielmehr bewirkt die Schwäche der SPD in den ökonomischen Kernaussagen des Regierungsprogramms, daß der einmal eingeschlagene Kurs geradezu krampfhaft beibehalten werden muß. Ein überzeugendes Programm für die Modernisierung des Wirtschaftsstandorts vertrüge natürlich Tempolimit und Mineralölsteuern. Doch beim zentralen Streitthema mit dem Regierungslager hat die SPD nicht die durchschlagend besseren Rezepte, sondern allenfalls das Vertrauen in unverbrauchteres Personal anzubieten. Interessant ist manchmal eben auch, worüber nicht gestritten wird. Ob die Ergänzungsabgabe ebensoviel Geld in die Staastkassen bringt wie der Solidarzuschlag, hat in den Parteigremien leider niemanden interessiert. Tissy Bruns