Ein Spaltpilz für Rußlands Opposition

Nach der Unterzeichnung von Jelzins „Bürgerpakt“ bleiben auch viele Anhänger der „rot-braunen“ Opposition am 1. Mai lieber zuhause / Die KPdRF vor der Spaltung?  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Sagt vorne Bescheid. Sie stehen hier mit Maschinengewehren. Aber nicht vergessen!“ zischelt eine alte Frau gewichtig die Vorbeilaufenden an. In den Seitenstraßen zum ehemaligen Oktober- Platz hat sich die gerüstete Staatsmacht verschanzt. Nach der Straßenschlacht im Vorjahr, als ein Milizionär starb, wollte man diesmal gewappnet sein.

Nur wenige Tausend sind unterwegs mit roten Bannern, Lenin, Stalin und anderen Genossen. Chauvinistische und antisemitische Postillen werden verhökert. Daneben die Schriften der Stalinisten, Trotzkisten und „einfach nur Marxisten“, die ein und derselbe „Grossist“ vertreibt. Auf einem LKW feiert die neue düstere Dreifaltigkeit: Chauvinisten, Kommunisten und ein Priester, der alles segnet, was ihm vors Kreuz kommt. Doch die Stimmung ist friedlich. Nur einigen gefällt dies nicht. Auch die Gewerkschaften demonstrieren nicht hier, sondern in der Nähe des Kreml. Sie brachten an die zwanzigtausend auf die Beine. „Die Moskauer sind auf ihrer Datsche und wer sich's leisten kann, ist in Biarritz“, meint ein Kommentator. Dennoch bleibt Moskaus Verwaltung in Alarmbereitschaft. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges, haben radikale Gruppen ebenfalls zu einer Manifestation aufgerufen. Zusammen mit den Faschisten und der Union der Offiziere sollen sie über tausend Paramilitärs in ihren Reihen haben.

Der Vorsitzende der Nationalrepublikanischen Partei, Sergei Rybnikow, hatte seinen Anhängern verordnet, an diesem 1. Mai zuhause zu bleiben. Denn die Orthodoxie feiert ihr Osterfest und es sei Gotteslästerung, an diesem heiligen Tag auf eine politische Demonstration zu gehen. Das Osterfest ist jedoch nicht der alleinige Grund, warum sich Anpilows großspurige Vorhersage von 100.000 Demonstranten nicht bewahrheitet hat. Die Luft scheint raus zu sein aus den politischen Kämpfen. Die noch vor einem halben Jahr militante Nationale Rettungsfront, die größte radikaloppositionelle Dachorganisation, hat sogar zu Wohlverhalten aufgefordert. Dieser Teil der Opposition wechselt offenbar die Taktik und bereitet sich auf die Präsidentschaftswahlen vor. Einerseits Gesetzlosigkeit und Chaos anzuprangern, sie aber gleichzeitig zu fördern, bringt auf Dauer keine Wählerstimmen. Jelzins Initiative, die Unterzeichnung des „Bürgerpaktes“, der die politischen Akteure verpflichtet, in der Auseinandersetzung bis zu den Präsidentschaftswahlen 1996 keine Gewalt anzuwenden, hat die Opposition schon geschwächt. Jetzt gibt es solche, die sich auf ein Minimum an Gemeinsamkeiten einlassen und jene, die weder Verfassung noch irgendein anderes Regelwerk für sich als verbindlich erachten.

Die „unversöhnliche“ Opposition ist kleiner geworden und sie wird sich noch weiter spalten. Denn in der Folge des „Bürgerpaktes“ setzen die Flügelkämpfe in den eigenen Reihen ein. Die Führungsfiguren der Russischen Kommunisten, Gennadi Sjuganow und Putschist Anatoli Lukjanow, marschierten auf der Maidemo noch nebeneinander. Innerparteilich repräsentieren sie aber unterschiedliche Richtungen. Sjuganow hätte, so heißt es, gerne den Pakt unterzeichnet, um sich nicht ins Dialogabseits zu begeben. Die Hardliner wie Lukjanow haben ihn abgehalten. Längerfristig wird es ihnen nicht gelingen, die Transformation der KP in eine sozialdemokratische Partei, die bereits im Gange ist, zu unterbinden.

Die Agrarier – den Kommunisten mehr als geistesverwandt – lavieren noch. Ihr bekanntester Vertreter, Iwan Rybkin, hat als Vorsitzender der Staatsduma bereits unterzeichnet. Wahrscheinlich ziehen auch sie nach. Der hargesottene Nationalist Sergei Baburin aus der Fraktion „Russischer Weg“ forderte Konsequenzen: Rybkins Rücktritt. Viele Mitstreiter wird er nicht mehr finden.