Der Krieg der tapferen Schulfreunde

■ Ruandas RPF-Guerilla hat eine schillernde Geschichte

Brüssel (taz) – Was ist die „Patriotische Front“ Ruandas“ (RPF), jene Guerillabewegung, die in Abwesenheit der UNO als einzige bewaffnete Gruppe in Ruanda gegen die Regierungsarmee und ihren Völkermord steht?

Sich selber nennen die RPF- Kämpfer Inkontanyi, „die Tapferen“. Ihre Geschichte begann 1959, als die Hutu-Bevölkerungsmehrheit Ruandas das alte Tutsi- Königreich stürzte. Insgesamt flohen seither mehrere hunderttausend Tutsis nach Burundi, Uganda, Tansania und Zaire.

Die Exilanten von damals sind die Väter der Guerilleros von heute. Mitglieder der einstigen ruandischen Tutsi-Partei UNAR (Union Nationale Rwandaise) kämpften bereits zwischen 1962 und 1965 auf seiten der lumumbistischen Guerilla im Osten des heutigen Zaire, die das Erbe des ermordeten Präsidenten Lumumba pflegte und dem maoistischen China zuneigte. 1979 gründeten ruandische Tutsis in Kenia, wo der Exilkönig lebte, als Nachfolger der UNAR die „Rwandese Alliance for National Unity“ (RANU). Die RANU blieb eine Vereinigung von Monarchisten. Sie und die vor sieben Jahren gegründete RPF werden daher von der ruandischen Regierungspropaganda gerne als „Feudalisten“ bezeichnet – auch unter Hinweis auf die erst 1993 beendete blutige Tutsi-Militärdiktatur in Burundi.

Viele RPF-Kämpfer sind tatsächlich Söhne der UNAR-Monarchisten, aber das sagt allein noch nichts aus. Sie sind in Flüchtlingslagern aufgewachsen. Ihre Eltern, einst privilegiert, waren verarmt und ohne Bürgerrechte – genug Nährboden für eine Revolte.

In den 70er Jahren gingen mehrere der heute wichtigen Figuren in der Region gemeinsam auf die Ntare-Schule in Mbarara, Uganda: ein junger Ugander aus ruandischem Geschlecht namens Yoweri Museveni und mehrere ruandische Flüchtlinge namens Fred Rwigyema und Paul Kagame – letzterer Abkömmling des Bega- Klans, aus dem traditionell die Königinnen am ruandischen Hof stammen. Museveni wurde später Präsident Ugandas. Rwigyema war 1990 der erste Kommandant der RPF, Kagame sein Nachfolger.

Museveni nahm „Fred“ zum Kampf gegen die Portugiesen nach Mosambik mit, wo sie Guerilleros des südafrikanischen ANC und der simbabwischen ZANU kennenlernten. Mit seinen ruandischen Freunden kehrte Museveni später nach Uganda zurück und gründete die Guerillabewegung „National Resistance Army“ (NRA), die nach dem maoistischen Modell den Krieg vom Land in die Städte trug und 1986 Ugandas Diktator Milton Obote stürzte. Kern der NRA waren Krieger aus Ruanda. Sie kämpften gegen Obote, weil dieser 1982 40.000 Ruander aus Uganda ausgewiesen hatte. Sie verstanden sich als Revolutionäre. Mit Monarchismus hatten sie nicht mehr viel zu tun.

Als Museveni 1986 Präsident Ugandas wurde, belohnte er seine Freunde. Der charismatische Rwigyema wurde Generalstabschef, der geheimnisvolle Kagame Leiter der Militärspionage. Sie waren daher in hervorragender Position, als Ruandas Präsident Habyarimana immer mehr Schwierigkeiten mit den eigenen Hutus bekam. Dazu kam, daß in Uganda der Aufstieg der Fremdlinge mit Mißgunst betrachtet wurde. Alles sprach dafür, daß sie ihre Sessel räumen und mit dem Gewehr in der Hand nach Ruanda zurückkehren würden.

Gegen Hutu-Herrschaft und Tutsi-Monarchie

Ende September 1990 überquerten mehrere bewaffnete RPF- Gruppen unter Führung Rwigyemas die ugandisch-ruandische Grenze. Seitdem herrscht in Ruanda Bürgerkrieg, unterbrochen nur durch den Friedensvertrag vom August 1993, der die Bildung einer gemeinsamen Regierung unter UNO-Aufsicht vorsah und der jetzt mit der Ermordung Präsident Habyarimanas und den Massakern hinfällig geworden ist.

Das erste Programm der neuen Guerilla sprach sich noch – mit Einschränkungen – für die Monarchie aus. Erst 1992 machte die RPF reinen Tisch: Die präkoloniale Monarchie wurde als „feudales Regime“ beschrieben, das „auf dem Prinzip der Unterdrückung und der Ausbeutung“ basiere. Die programmatische Veränderung lag vor allem daran, daß die ursprüngliche Tutsi-Guerilla sich auch unzufriedenen Hutus geöffnet hatte. So trat Ruandas Ex-Innenminister Alexis Kanyarengwe in die RPF ein, ebenso der ehemalige Leiter der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft, Pasteur Bizimungu. Sie gehören heute zu den wichtigsten Führern der RPF.

Gleichzeitig war es zu mehreren mysteriösen Todesfällen gekommen. RPF-Führer Rwigyema starb gleich zu Beginn, im Oktober 1990 – nach RPF-Angaben wurde er durch eine Mine getötet, aber nach Angaben einiger Tutsi-Flüchtlinge durch ein Attentat aus den eigenen Reihen. Die Kommandanten Peter Bayingana und Bunyenyenzi starben wenige Monate später. Aus all dem ging als starker Mann Paul Kagame hervor, Musevenis anderer Freund, der 1990 noch in den USA eine Militärausbildung absolvierte.

Über die Gründe für den tödlichen Streit gibt es nur Vermutungen. Kam Rwigyema aus einem weniger angesehenen Clan als Kagame? Stritten sich die RPF-Führer über die militärische Strategie? Die RPF dementiert bis heute jede Unstimmigkeit und zeigt dabei interne Disziplin: Selbst die drei Witwen der Verstorbenen haben gemeinsam die Mordthese abgestritten.

Dennoch bleibt vieles über die RPF merkwürdig. Das militärische Kommando liegt bis heute bei den Tutsi-Exilanten in Uganda. Die Organisation bekannte sich erst sehr spät zur Mehrparteiendemokratie. Die Angst, daß die RPF nach einem Sieg in Ruanda blutige Rache für die von Regierungssoldaten begangenen Massaker nehmen wird, ist ein Grund für die massive Flucht von Ruandern aus der Hauptstadt in der letzten Zeit.

Zur Zeit ist die RPF militärisch und politisch überlegen. Sie denkt an die Übernahme der Macht. Regieren will sie nur mit Leuten, die „an den Massakern nicht teilgenommen haben und für die nationale Einheit sind“, sagt RPF-Europasprecher James Rwego. Wer soll das beurteilen? „Eine internationale Untersuchungskommission.“ Das klingt relativ gemäßigt. Aber erst Frieden könnte zeigen, ob sich die RPF von einer Militärorganisation in eine regierungsfähige Partei wandeln kann. François Misser