Sächsischer Renegat

■ Der neue VS-Vorsitzende Erich Loest hatte mit Verbänden bisher wenig Glück

Unaufgefordert haben staatliche Stellen Erich Loest beim Abfertigen seiner Biographie zugearbeitet – das Ergebnis findet sich in 31 Bänden mit Observationsakten. Woher rührte das geheimpolizeiliche Interesse am sächsischen Romancier? Loest gehört, wie Christa Wolf und der 1984 verstorbene Franz Fühmann, zu jener Generation ostdeutscher Schriftsteller, die ihr frühes Engagement für die DDR aus der eigenen Verstrickung in das Nazi-Regime abgeleitet haben; während der letzten Kriegsmonate wird der 17jährige Kaufmannssohn aus Mittweida einberufen und schließt sich bei Kriegsende noch der NS-Untergrundorganisation Werwolf an.

Von 1947-50 arbeitet Loest bei der Leipziger Volkszeitung. In jener Zeit schreibt er erste Erzählungen und einen Roman, worin kaum verschlüsselt die selbst erlebte Desillusionierung eines jugendlichen Mitläufers beschrieben wird. Die Texte, die bis Mitte der 50er Jahre entstehen, lesen sich in der Mehrzahl wie Auftragswerke. Erst das Jahr 1956 bringt den Einschnitt in seinem Leben. Der Schriftsteller mißversteht Chruschtschows Geheimrede als Anregung, auch in der DDR mit der Entstalinisierung zu beginnen, und wird wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Entlassung holt Loest nach, was sich in der Zeit des Schreibverbots angestaut hatte: Elf Romane und über 30 Erzählungen, vor allem Kriminal- und Abenteuerromane, mit denen er sich wirtschaftlich über Wasser hält, zeugen von einer erstaunlichen Produktivität.

Schon bald treten neue Konflikte auf. Erzählungen und Bücher wie Loests Autobiographie („Durch die Erde ein Riß“, 1981 im Westen erschienen) haben in der DDR keine Chance auf Veröffentlichung, da der Autor in ihnen auch seine Hafterfahrungen reflektiert. Aus Protest gegen die Zensur tritt er 1979 aus dem DDR- Schriftstellerverband aus und siedelt 1981 in den Westen über. Hier gelingt es Loest mit Romanen wie „Völkerschlachtdenkmal“ und „Zwiebelmuster“ literarisch schnell wieder Fuß zu fassen. Thematisch bleibt er damit seiner Heimat Sachsen und der Stadt Leipzig verbunden, in der er seit 1990 auch wieder einen Wohnsitz hat.

Mit Schriftstellerverbänden hatte Loest zeitlebens wenig Glück. Als er 1979 aus dem Ost- Verband austrat, kam er lediglich einem von der Stasi schon en detail präparierten Ausschluß zuvor. Im Westen setzt er sich als 2. Vorsitzender des VS vergeblich für die aus der DDR vertriebenen Kollegen ein. Zum Eklat kommt es 1987, als der DDR-Verband in Person von Hermann Kant sich erfolgreich den sächsischen Renegaten als Vertreter des VS beim Ost- Schriftstellerkongreß verbittet.

1991, nach der Vereinigung von West- und Ostverband in Travemünde, wird beschlossen, eine Geschichtskommission zur Aufhellung dieser Mauscheleien einzurichten. Bisher ist jedoch kaum etwas an die Öffentlichkeit gelangt. Vielleicht wird das jetzt anders, nachdem der Verband deutscher Schriftsteller Erich Loest zu seinem Vorsitzenden gewählt hat. Peter Walther