Unterm Pflaster locken Schätze

■ Die Baugruben in der Friedrichstraße werden immer öfter Ziel nächtlicher Besuche von Jugendlichen / Auch Bernsteinsucher und Militaria-Fans stöbern in der Tiefe

Berlin baut; unübersehbar stoßen die Kräne in den Himmel. Doch nachts, wenn die Maschinen nicht mehr dröhnen, bekommen die Baugruben immer öfter Besuch. Wenn nur die gelbliche Notbeleuchtung die riesigen Kräne und Bagger trübe anstrahlt und ansonsten von der geschäftigen Hektik nichts mehr zu spüren ist, zieht es insbesondere Jugendliche in die Tiefe. Besonders beliebt sind die Baustellen, auf denen bisher erst der Boden aufgerissen ist und noch kein Fundament steht, denn da findet sich mit etwas Glück allerlei aus der Vergangenheit.

Beliebtes Objekt der Begierde: die gigantischen Baustellen an der Friedrichstraße. Dort wurde im vergangenen Sommer in 15 Meter Tiefe „ganz offiziell“ ein ungefähr 15.000 Jahre alter Auerochsenschädel gefunden und dem Archäologischen Landesamt übergeben. Außerdem hätten, so erzählt der zuständige Bauleiter Herbert Kandlbinder von Züblin, nächtens Bernsteinsucher Zentimeter für Zentimeter des Bodens nach dem fossilen Harz abgekämmt. Das sei für einige ein regelrechtes Hobby, die Sammler würden bei allen großen Baustellen zum Buddeln auftauchen.

Und auch Jugendliche besuchen die Baustellen in Mitte besonders gerne: Der einsame Wachschutzmann samt Hund wird von einigen geschickt abgelenkt, und sogleich klettert der Rest auf der Suche nach dem Unbekannten auf den nächtlichen Spielplatz. Gefunden haben sie vor einigen Wochen tatsächlich etwas: zwei völlig verrostete Stahlhelme und ein kaputtes Maschinengewehr aus dem zweiten Weltkrieg. Munition in der Baugrube dagegen gehört fast zur Tagesordnung bei einem Bauvorhaben. Bis zu viermal am Tag muß der „Kampfräumdienst“ der Polizei ausrücken, um auf Baustellen von Baggern ausgegrabene Munitionsreste, Granaten oder manchmal auch Bomben zu sichern. Sind sie scharf, und das sind sie relativ häufig, werden sie in Transportern zum Sprengplatz Grunewald befördert und dort vernichtet.

Neben Munitionsfunden würden auf einigen Baustellen auch Urstämme oder tonnenschwere Findlinge gefunden, sagt Herbert Kandlbinder. Diese werden von der Berliner Bauordnung als Denkmal eingestuft und dürfen vom Grundstück nicht entfernt werden, müssen also in das Bauvorhaben „integriert“ werden. Als das Kempinski-Hotel am Kurfürstendamm vor vier Jahren vergrößert wurde, fanden Bauarbeiter in einer Grube Meißner Porzellan, original eingepackt. Doch der Baggerführer stellte sich beim Bergen ungeschickt an: Mit seiner Schaufel zerdrückte er das wertvolle Geschirr.

Gestohlen werde laut Herbert Kandlbinder auf den Großbaustellen dank des Wachschutzes nur wenig. Manchmal komme Werkzeug oder auch mal ein elektrisches Gerät weg. Anzeigen gebe es dann aber auch nur „seltenst“, denn „der Aufwand sei größer als der Schaden“. Am häufigsten geklaut würden die „Blinkleuchten“ und Verkehrsschilder, die nach wie vor in keinem Jugendzimmer fehlen dürfen. Julia Naumann