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■ Eine Selbsthilfegruppe überwindet ihren Ekel vor UrinMedizin aus der eigenen Blase

Gießen (taz) – Hilft Urin gegen Krampfadern? Oder gegen Neurodermitis? Herpes? Und wenn, muß man ihn dann trinken oder einreiben? Schmeckt Urin besser körperwarm oder eisgekühlt? Seit Jahresbeginn beschäftigt sich nun schon eine Gießener Selbsthilfegruppe, die sich selbst den prickelnden Namen „Ein ganz besonderer Saft“ gab, mit diesen wichtigen Fragen.

Seitdem die Journalistin Carmen Thomas („Schalke 05“) ein Buch zum Thema veröffentlichte, sind immer mehr Menschen fasziniert von der Idee, sich den eigenen Urin wieder zuzuführen. Motto der Gruppe: „Trinken Sie morgens ruhig ein Täßchen. Urin ist schmackhaft, er läßt sich hervorragend mit Saft mixen.“ Und er soll angeblich gegen eine Vielzahl von Krankheiten helfen.

Im Januar '94 hatte ein experimentierfreudiger Gießener die Idee, seine Erfahrungen einer breiteren Bevölkerungsschicht mitzuteilen. Seitdem versammeln sich – bundesweit einmalig – die Mitglieder regelmäßig zum kritischen Meinungsaustausch. Der Mann hatte wohlgetan: Das Interesse an der Eigenurintherapie nimmt stetig zu. Beim letzten Treffen fanden sich insgesamt 15 Personen im Alter zwischen 25 und 70 Jahren ein, darunter drei Männer. Als geistige Mutter der UrinanwenderInnen gilt Carmen Thomas, die im Jahre 1988 das Thema im Rahmen ihrer populären Radiosendung „Hallo Ü-Wagen“ aufgriff. Die Resonanz war groß. 1993 schließlich erschien das Buch, dessen Kernstück das Protokoll besagter Sendung ist. In unzähligen Medienbeiträgen wurde schon über die „Hausapotheke in der eigenen Blase“ berichtet. Teils ernsthaft, teils spöttisch. Doch wie brauchbar ist Urin als Universalmedikament tatsächlich? Die Wissenschaft blieb uns bis heute eine Antwort schuldig. Sicher scheint nur: Es schadet auch nicht!

Die Versuchskaninchen der Selbsthilfegruppe berichten jedoch gerne über ihre Heilungserfolge bei Hauterkrankungen. Ekzeme, Warzen, Neurodermitis, Altersflecken, Herpes, Sonnenbrand oder hartnäckige Akne seien ebenso verschwunden wie Fußpilz, Prellungen, Haarausfall oder rheumatische Entzündungen. Auch bei Erkältungen, Migräne, Wetterfühligkeit oder Fieber wirke Urin sofort. „Die Therapeuten“, so schwärmt auch Carmen Thomas von ihrem letzten Indien- Trip, „berichten von hohen Heilungsquoten – bei Haut-, HNO- und inneren Erkrankungen, sogar bei Krebs, TB, Herz und Aids.“ Skepsis bleibt dennoch angesagt beim Gedanken an ein morgendliches Täßlein Urin, das in Indien demnach zum Frühstück gehört.

Wegen der Gefahr bakterieller Infektionen wird jedoch empfohlen, immer nur den eigenen Saft zu trinken. Denn der ist für den Körper ungefährlich. „Qualitativ am besten“, so der Gießener Gruppenleiter, sei „der Mittelstrahl des Morgenurins“. Erklärter Wille des Initiators, der sich namentlich dennoch nicht als Harntrinker outen will, ist das Populärmachen dieser Heilmethode. Sollte sie sich nämlich durchsetzen, können Ärzte, Pharmaindustrie und Apotheken bald einpacken. Doch die Überwindungsbarriere ist enorm: Eine Bekannte des Verfassers testete ihren eigenen Saft ebenfalls aus – leider nur mit mäßigem Erfolg. Bei dem Versuch, ihr Halsweh mit Harn zu bekämpfen, mußte sie sich ganz jämmerlich übergeben. Auch ihre Haut dankte es ihr nicht: Unreinheiten und Pickel scherten sich einen feuchten Dreck um die liebevolle Urinbehandlung. Aber vielleicht hat sie ja auch nur irgend etwas falsch gemacht. Peter Haacke

Kontakt Selbsthilfegruppe: 0641/493645. Carmen Thomas' Harnbibel: „Ein ganz besonderer Saft – Urin“, Köln 1993.

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