Fraatz frisierte Gonzales

30:25-Sieg des TuSEM Essen im Handball-Europacup gegen Drott Halmstad / Trainer Hahn spuckt vor Freude Zitronenscheiben  ■ Aus Essen Markus Götting

Krise? Hat da jemand etwas von Krise erzählt? Alles nur sabotierendes Gequatsche professioneller Destruktivisten – das meint zumindest Jürgen Hahn, und der vermittelte in dieser Saison oftmals den Eindruck, er habe soeben auf eine Zitronenscheibe gebissen. Das liegt an seinem Angestelltenverhältnis, denn die erfolgsverwöhnten Handballer von der Essener Margaretenhöhe, besser bekannt unter ihrem Erfolgskürzel TuSEM, rangieren vor ihren letzten beiden Bundesliga-Begegnungen auf einem für sie enttäuschenden siebten Tabellenplatz, steckten bis vor wenigen Wochen sogar im Abstiegsstrudel. Die fröhlichen Augenblicke im Leben des Handball- Lehrers blieben da eher selten.

Aber jetzt ist alles anders: TuSEM hat den Euro-City-Cup gewonnen und sich nicht nur überraschend, sondern gerade noch rechtzeitig die betriebswirtschaftlich so bedeutsame Teilnahme am europäischen Wettbewerb im nächsten Jahr gesichert, sofern der Wettbewerb stattfindet. Die Europäische Handball-Föderation (EHF) trägt sich nämlich mit dem Gedanken, den erst im vergangenen Sommer eingeführten City- Cup wieder abzuschaffen, den einzigen Europacup, den keine spanische Mannschaft gewann. TEK Santander siegte bei den Landesmeistern, der FC Barcelona bei den Pokalsiegern und Alzira Avidesa im EHF-Cup.

„In den letzten Wochen haben wir endlich wieder in voller Besetzung gespielt und gezeigt, daß es geht. Wir sind ein würdiger Europacup-Sieger und die einzige deutsche Mannschaft, die ins Finale eingezogen ist“, schlaumeierte Deutschlands Handballer der 90er Jahre, Jochen Fraatz, mit sich und seiner Handballwelt wieder versöhnt. Der Spielführer schoß sich bei der 30:25-Demontage des achtmaligen schwedischen Meisters HK Drott Halmstad vor 5.000 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Essener Grugahalle zwar erst nach 23 Minuten warm, langte sogleich aber zehnmal hin und ließ Torhüter Niclas Gonzales, der rein äußerlich ohne Probleme den Hauptdarsteller einer cineastischen Kurt-Cobain-Biographie mimen könnte, einige Male blaß werden. So etwa, als Fraatz ihn aus zehn Metern mit einem aus dem Handgelenk geschüttelten High- Speed-Geschoß einen Mittelscheitel zog oder von Linksaußen in den Kreis einspringend den Ball hinter dem Rücken her in die kurze Ecke legte – Gonzales als Depp.

TuSEM als Europacup-Champion – nach dem nie für möglich gehaltenen 27:17-Hinspielerfolg gegen eine der technisch versiertesten Vereinsmannschaften der Welt, die spielerisch mehr zu überzeugen wußte als der Sieger selbst, eigentlich kein Kunststück mehr. „Den Titel haben wir in Schweden gewonnen, ich muß mich aber besonders bei unserem Physiotherapeuten bedanken, der dafür gesorgt hat, daß wir wenigstens noch sechs bewegungsfähige Spieler aufs Parkett schicken konnten“, spielte Hahn galgenhumorig auf die Beinkrankheiten seines Schnapp- und Schmeiß-Ensembles an, lehnte sich genüßlich zurück und gönnte sich erst einmal ein Zigarettchen, derweil seine Schützlinge mit Schampus aus dem soeben gewonnenen Pokal und Dosenbier den Sieg begossen.

Kaum eingespielt, aber mit Durchschlagskraft bei Einzelaktionen, hätten die Essener – was sie nicht mußten – sogar den Ausfall eines Spitzenspielers verschmerzen können. Halmstad nicht: Rückraum-Crack Ole Lindgren, Weltmeister und Vize-Olympiasieger, mußte mit gebrochener Hand zusehen, wie Stefan Hecker zwischen den Essener Pfosten seine Kollegen ihrer letzten Nerven beraubte. Halmstad-Coach Göran Bengtsson: „Wir wußten nicht mehr, was wir gegen ihn machen sollten.“