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Tristesse allüberall

■ "Filme aus Osteuropa" - Eine fünfteilige Reihe in West 3

Witali ist ein Satan, skrupellos und voller Verachtung für seine Mitmenschen. Er vergewaltigt eine Frau am Tag ihrer Hochzeit, er tötet ein kleines Mädchen, das eigentlich nur entführt werden sollte. Daß er beide persönlich gekannt hat, machte gerade den Reiz der Tat aus. Witali hatte noch eine Rechnung offen.

Ziellos irrt der „Satan“ umher, ein sozial und moralisch Entwurzelter auf der Suche nach neuen Opfern, die ihm einen Lebenssinn geben. Die Gewalt und der Jammer auf den Straßen beachtet er gar nicht mehr, denn er sieht sich als einen jener optimistischen jungen Russen, die ihre Freiheit in vollen Zügen genießen und austoben sollten – und ist in Wahrheit eine bittere Karikatur davon.

Mit „Satan“ (UdSSR, 1990) von Wiktor Aristow eröffnet West 3 heute eine fünfteilige Reihe mit „Filmen aus Osteuropa“, womit die Kölner Rußland und Litauen meinen sowie die frühere UdSSR. Die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, die alle eigene Filmstudios betreiben, wurden nicht berücksichtigt, was der WDR mit der mangelnden Qualität ihrer jüngeren Produkte erklärt – man legte Wert darauf, ausschließlich die Filme junger Filmemacher ins Programm zu nehmen, die möglichst auch noch einen Kommentar zur Zeit abliefern. Die meisten der älteren Regisseure, die schon vor und während der Perestroika in der Sowjetunion arbeiteten und auch im Ausland bekannt sind, befinden sich derzeit ohnehin in Schaffenspausen und -krisen, wie etwa Alexej German oder Nikita Michalkow. Aber das Filmgeschäft floriert dennoch – zumeist in Form internationaler Koproduktionen und Joint-ventures.

So ist auch der Film „Ich wollte Engel sehen“ (24.5.) des vergleichsweise erfahrenen Regisseurs Sergej Bodrow 1992 als russisch-amerikanische Produktion entstanden. Man sieht es ihm an: einerseits einer jener düster-fatalistischen und von Apathie getragenen Filme, die es auch schon in der Endphase der Sowjetunion gab und die vor allem in den tristen Straßen Moskaus spielen – so trist, daß die Bilder trotz des Farbmaterials fast nur aus Schwarz und Grauweiß bestehen. Andererseits eine Easy-Rider- und The-Wild- One-Story mit Lederjacken, schweren Maschinen und jugendlichem Leichtsinn. Ein Film voller ästhetischer Manierismen aus 100 Jahren Filmgeschichte: Zeitlupen, verwischte Erinnerungsfetzen, Standbilder, im Gegenlicht tropfendes Tauwasser – von Rockerfilmen über Nouvelle Vague bis zu Tarkowski-Referenzen ist alles dabei – und bleibt doch Selbstzweck.

Aus demselben Fundus bedient sich auch der „Herr des Wassers“ (Rußland 1991; 17.5.). Aber hier gelingt dem jungen Petersburger Regisseur Arkadi Tegay der spielerische Umgang mit den verschiedensten Stilen bis hin zur Groteske, was den Film in die Nähe zeitgenössischer Kinoexperimente wie „Delicatessen“, „Leolo“ oder „Die Liebenden von Pont Neuf“ rückt. Eine fragmentierte Kinogeschichte, durchsetzt mit Bild- und Toncollagen, mit Übertreibungen und alptraumhaften Sequenzen, Ironie und makabrem Humor – und eine David-gegen-Goliath- Geschichte: ein Technikfreak will sich für den Mord an seinem Freund rächen und nimmt mit Hilfe allerlei abenteuerlicher Apparaturen den Kampf gegen die Mafia auf, die hinter dem Anschlag steckt. Die Miliz, die auch in den anderen Filmen kaum etwas zu melden hat, bekommt hier ihren großen Auftritt: Unter Verbeugungen und Entschuldigungen entläßt sie den Gangster schon nach eintägiger Haft. Ist es da ein Wunder, daß hier einfache Bürger ihr Heim mit MGs, Netzen und Verteidigungsplänen schützen?

Wiederum in der Tradition der seligen Nouvelle Vague steht der 1990 entstandene sowjetische Film „Erdgeschoß“ von Igor Minajew (10.5.). Außer Atem begegnet ein junges Paar immer neuen Institutionen und Zwängen des Alltags, die dabei hemmungslos auf den Arm genommen werden.

Die Stadt als menschenfeindliche Umgebung, deren Härte und Kälte auf die Beziehungen der Menschen abfärben – von diesem beliebten Sujet der Moderne handelt „Drei Tage“ (1.6.), der Debütfilm des litauischen Regisseurs Sarunas Bartas. Zwei Dörfler kommen nach Königsberg und verbringen dort drei Tage mit zwei Mädchen, mit denen sie dennoch nicht richtig warm werden. Dokumentarische Aufnahmen vermitteln einen Eindruck vom Leben in der Stadt. Tristesse auch hier.

Neben der Resignation, die in allen diesen Filmen mehr oder weniger deutlich zutage tritt, zeigen sich aber auch vereinzelte Lichtblicke. Doch die Aufbruchstimmung ist vor allem künstlerischer Art – wenn sie auch zuweilen in den Konzepten der Morderne steckenbleibt, die es nachzuholen gilt. Denn mit dem, was man hierzulande als „Aufbau Ost“ zu beschwören pflegt, hat das alles wenig zu tun. Daß es schon morgen besser werde, das verspricht keiner dieser Filme auch nur einen Moment lang. Oliver Rahayel

Alle Filme (OmU) jeweils um 23 Uhr (nur „Drei Tage“ am 1.6. um 22.45 Uhr), West 3

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