Richter spielen Reise nach Jerusalem

Prozeß um Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich in Koblenz / Der erste Tag endete im Chaos / Rechtsstreit dauert schon 20 Jahre / Hält das AKW einem Erdbeben stand?  ■ Aus Koblenz Klaus-Peter Klingelschmitt

Der entscheidende Prozeß um die Rechtmäßigkeit der 1990 neu erteilten ersten Teilerrichtungsgenehmigung für das Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich begann mit einem Knalleffekt. Rechtsanwalt Reiner Geulen, der die Stadt Neuwied vertritt, stellte zur Überraschung aller Verfahrensbeteiligten einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Hoffmann – „mein erster in zehn Jahren anwaltlicher Tätigkeit in Verwaltungsgerichtsverfahren“, sagte Geulen.

Die Stadt Neuwied klagt gegen die erste Teilerrichtungsgenehmigung, die noch von der alten CDU/ FDP-Landesregierung erteilt worden ist. Der Berliner Rechtsanwalt begründete seine „Besorgnis der Befangenheit“ mit dem Hinweis darauf, daß sich der Vorsitzende der Kammer bereits im Vorfeld der Verhandlung in verfahrensrelevanten Fragen zu Lasten der Kläger „defintiv festgelegt“ habe. So sei das Gericht unter Vorsitz von Hoffmann zu der Auffassung gelangt, daß nur die Sach- und Rechtslage bei Erteilung der neuen umstrittenen Genehmigung im Jahre 1990 Gegenstand der Revisonsverhandlung vor der Kammer in Koblenz sein könne.

Doch auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin, so Geulen in seiner Antragsbegründung, müsse gerade in Verwaltungsgerichtsverfahren der aktuelle Sach- und Rechtsstand berücksichtigt werden. Mit seiner Festlegung habe der Vorsitzende die Einbringung neuer Gutachten und den Vortrag neuer Erkenntnisse zum Nachteil der Kläger schon vor Eröffnung des Verfahrens verhindert.

Weiter habe der Vorsitzende an seiner Terminierung festgehalten, obgleich dem Gericht bekanntgewesen sei, daß sich der Hauptgutachter der Kläger, Professor Jentzsch, im Mai zu Forschungszwecken auf den Philippinen aufhalte. Ohnehin seien nur vier Gutachter bestellt worden, die alle bereits für die beklagte Partei – das Land Rheinland-Pfalz – tätig gewesen seien.

„Eine Farce“ hatten AtomkraftgegnerInnen schon zu Prozeßbeginn die Verhandlung genannt – und waren dafür von Gerichtsdienern, die sich mit ihnen um ein Transparent balgten, hart angegangen worden. Doch im Anschluß an den Befangenheitsantrag tat das Gericht alles, um den Vorwurf der Farce mit Fakten zu untermauern. Der Vorsitzende gab eine „völlig unzureichende“ (Geulen) dienstliche Erklärung ab, in der er die Vorwürfe als „sachlich richtig“ bestätigte – sich aber für „nicht befangen“ erklärte.

Als dann noch der Anwalt der KlägerInnen aus diversen Bürgerintitativen, Baumann, einen weiteren Befangenheitsantrag gegen einen der Beisitzer stellte, weil der mit dem Vorsitzenden zusammen den Prozeß in der von Geulen beanstandeten Form vorbereitet habe, kam es zu chaotischen Verhältnissen auf der Richterbank: Die weinroten Roben spielten „Reise nach Jerusalem“ und präsentierten den staunenden Anwälten und den rund hundert BürgerInnen die Kammer in Abständen von zehn Minuten in verschiedenen Zusammensetzungen. Das ging dann selbst dem Anwalt der als „Nebenpartei“ geladenen Direktoren der Betreibergesellschaft RWE zu weit. Er beantragte eine einstündige Unterbrechung der Verhandlung. Den Richtern sollte Einblick in das Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGG) ermöglicht – und dem Vorsitzenden Gelegenheit zur gesetzeskonformen Neuformulierung seiner dienstlichen Erklärung gegeben werden.

Entschieden wurde an diesem ersten Prozeßtag allerdings nichts – noch nicht einmal die gestellten Befangenheitsanträge. So gingen die KlägerInnen und ZuschauerInnen, die seit gut 20 Jahren auf „substantielle Verhandlungen“ zur Erdbeben-Unsicherheit von Mühlheim-Kärlich warten, frustriert nach Hause. Ob der Prozeß überhaupt – wie terminiert – fortgesetzt werden kann, wird von der Entscheidung einer neu zusammengesetzten Kammer über die Befangenheitsanträge abhängen.