In stürmischer See mit Käpt'n Mandela

■ Wie deutlich der Wahlsieg des ANC auch ausgefallen sein mag, ein kompletter Machtwechsel vollzieht sich vorerst nicht in Südafrika. Denn die bisherigen - weißen - Herrscher räumen ihre Plätze nicht..

Wie deutlich der Wahlsieg des ANC auch ausgefallen sein mag, ein kompletter Machtwechsel vollzieht sich vorerst nicht in Südafrika. Denn die bisherigen – weißen – Herrscher räumen ihre Plätze nicht – Nelson Mandelas ANC setzt sich lediglich dazu.

In stürmischer See mit Käpt'n Mandela

Für Freudenfeste ist es heute in Südafrika je nach Blickwinkel entweder zu früh oder zu spät. Zu früh, weil ja erst mit der feierlichen Einführung Nelson Mandelas als Präsident nächste Woche der tatsächliche Regierungswechsel stattfindet. Und zu spät, weil die Wahlen bereits vorbei sind und weil ihre relativ problemlose Durchführung schon mehr als genug Anlaß zur Erleichterung geboten hat.

Südafrika ist am Bürgerkrieg nicht nur vorbeigeschlittert, es war von ihm auch schon lange nicht mehr so weit entfernt. Die Schwierigkeiten in KwaZulu, die zur eintägigen Wahlverlängerung führten, sind ebensowenig wie die unerwartete technische Komplexität des Auszählungsvorgangs Anlaß für irgendjemanden, zu den Waffen zu greifen. Das Wählen, das ja vielerorts als wohlinszeniertes und durchaus feierliches Ritual ablief, hat sich als verbindendes Element für die vielen Ethnien und Gruppen Südafrikas bewährt. Hier beginnt das neue Südafrika. Ein Zurück gibt es nicht.

Die Feinheiten des Wahlergebnisses und die Frage, welchen Gruppierungen es nun doch gelingen wird, mehr als fünf Prozent der Stimmen und damit das Anrecht auf einen Kabinettssitz zu erhalten, sind mit dem Fortschreiten der Auszählung immer unwichtiger geworden. Schon am Sonntag sprach Pallo Jordan vom ANC ein bisher wohlgehütetes Geheimnis aus: Auch Parteien unter fünf Prozent könnten in die neue Regierung aufgenommen werden — eine Hintertür für die Zulu-Bewegung Inkatha. Und wohl auch für die Demokratische Partei, die Gruppierung des liberalen weißen Kapitals, die in der Regierung nützlicher ist als draußen. Gestern präzisierte Mandela, die linksradikalen Schwarzenorganisationen PAC und Azapo, deren Führer „genausoviel gelitten haben wie wir“, müßten auch eine Rolle in der Regierung bekommen.

Südafrikas kommende Regierung der Nationalen Einheit ist konzipiert als Boot auf stürmischer See, mit Mandela als Kapitän. Wer in irgendeiner Weise an der Gestaltung der südafrikanischen Zukunft teilhaben möchte, muß im Boot sitzen und sich damit Mandela beugen. Die Alternative ist der Absprung – ins Nichts. Dieses Schicksal könnte den weißen Rechten in General Viljoens Freiheitsfront beschieden sein, die vermutlich nicht über fünf Prozent gelangen und an einer Regierungsbeteiligung wohl auch wenig interessiert sein dürften.

Käpt'n Mandelas Aufgabe ist dennoch nicht einfach. Es kann gar nicht genug betont werden: Was jetzt in Südafrika passiert, ist kein Machtwechsel. Mandela führt das Boot – aber diejenigen, die vor ihm darin saßen, bleiben drin. Die bisherigen Herrscher räumen ihre Stühle nicht – der ANC setzt sich lediglich dazu. Daß keine Beamten entlassen werden, daß es keine Säuberungen sogar in mutmaßlich landesverräterischen Teilen des Sicherheitsapparates geben wird, daß die Struktur der Wirtschaft in den Grundzügen unangetastet bleibt und nur geringer Spielraum für Umverteilung besteht – das ist Mandelas Tribut an die südafrikanische Realität, ohne den er niemals Präsident werden würde.

Möglich wurde der historische Übergang ja nicht in erster Linie durch eigene Erfolge des ANC, sondern durch ganz andere Faktoren. Zum wachsenden Druck der Townships gesellte sich die internationale Ächtung, auf die die Weißen reagierten, indem sie sich ins Unvermeidliche fügten: Sie leiteten die demokratische Öffnung selber ein, um sie nicht dem Feind überlassen zu müssen.

Denn noch vor wenigen Jahren sahen sich die Regierung de Klerk und der ANC durchaus als Feinde an. In den ersten beiden Jahren nach der Legalisierung des ANC und Mandelas Freilassung im Februar 1990 herrschte Konfrontation am Verhandlungstisch; ständig verliefen Gespräche im Sand oder wurden abgebrochen, wenn gerade mal wieder Polizisten oder ihre Inkatha-Zöglinge ANC-Demonstranten massakriert hatten. Jede der beiden Seiten hatte alle Hände voll zu tun, um das eigene Lager hinter sich zu scharen. Präsident de Klerk stellte sich im März 1992 der Konfrontation mit den Rechtsextremen, indem er seine Reformpolitik vor die weißen Wähler trug – und beim Volksentscheid eine Zweidrittelmehrheit gewann. Der ANC mußte ständig Verbalradikalität gegenüber der Basis mit Kompromißbereitschaft gegenüber der Regierung vereinbaren, was nicht immer gelang. Erst als de Klerk im September 1992 vorschlug, innerhalb von zwei Jahren Wahlen durchzuführen und danach fünf Jahre lang gemeinsam mit dem ANC zu regieren, war der Ausweg gefunden. Der ANC stimmte zu, Inkatha und die Rechte lehnten ab, die bis zum Wahlkampf geltenden Fronten standen fest.

Aus dieser Geschichte wird deutlich, wieviel Mandela de Klerk verdankt, und auch, warum die Macht des ANC in den nächsten fünf Jahren begrenzt sein wird. Mandela hat bereits darauf hingewiesen, daß er den Begriff „Regierung der nationalen Einheit“ ernst meint und daß seine Umsetzung den Großteil seiner Energie in der nächsten Zeit beanspruchen wird. Es geht dabei nicht nur um Versöhnung, sondern mehr noch um Machtausgleich. Mandela, der Königsenkel, wird seine Rolle irgendwo zwischen der des britischen Monarchen und der des US- Präsidenten finden: Er ist das unangreifbare Symbol des neuen Südafrika und übt zugleich starke exekutive Macht aus. Wie die britische Krone nimmt er – und keine andere Verfassungsinstitution – die Loyalität der Bürger entgegen; er muß aber auch schwierige Entscheidungen durch seine persönliche Autorität decken. De Klerks Nationale Partei spielt da wörtlich die Rolle einer „loyalen Opposition“, die den Regierungskurs kritisieren kann, nicht jedoch den Präsidenten.

Die Hauptaufgabe der neuen Regierung ist somit nicht das Handeln. Sie soll nicht viel „machen“. Sie muß einfach nur existieren und durch ihr schieres Bestehen die Erneuerung Südafrikas darstellen. Die Gefahr, daß dadurch die angeblich hochgesteckten Erwartungen der Schwarzen enttäuscht werden, ist vermutlich gering – keiner erwartet das Paradies auf Erden, und keiner hat es versprochen. Es ist nicht bedauerlich, sondern ein Zeichen für Selbstvertrauen, daß Südafrika sich fünf Jahre Regierung per Symbol leisten zu können glaubt. Dominic Johnson