Halbherzig abgehakt

■ In Dresden ins Depot geschafft und gründlich vergessen: Der unbequeme Dresdner Realist Wilhelm Rudolph

Das allegorische Bild vom Leben auf dem Lande erinnert ein wenig an Chagall: Als vor kurzem ein 1919 entstandenes, expressionistisches Ölgemälde von Wilhelm Rudolph (1889 bis 1982) in Sachsen entdeckt wurde, war der eigenwillige Grafiker und Maler fast schon vergessen. Und im Westen ist er bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Dabei spiegelt sich zumindest in seinen Federzeichnungen und Holzschnitten über das im Februar 1945 zerstörte Dresden ein sehr eigener und ausgeprägter Stil wider.

Wie viele seiner Zeitgenossen hatte sich Rudolph nur schwer wieder in die Nachkriegsgesellschaft hineingefunden. Der Dreißigjährige war desillusioniert. In Michelangelo, den er vor dem Krieg bewunderte, sieht er nach den Grabenkämpfen vor Verdun nur noch den „Formenrausch“. Nach Dresden zurückgekehrt fühlt er sich nach den Erfahrungen des ersten Weltkrieges fremd: „Ich kam umgewandelt aus dem Krieg zurück, es war eine ungeheure Umbildung vor sich gegangen. Es ging mir nicht allein so.“ In der Auseinandersetzung mit dem bereits erstarrten „Brücke“-Expressionismus versucht er, dessen Theatralik und pathetische Schärfe zu überwinden. Seine Themen damals: Der „Verlorene Sohn“, einsame Landschaften und verlassene, nächtliche Wirtsstuben. Aus dieser Frühzeit sind nur Bruchstücke erhalten: „Rotes Gefährt in blauer Landschaft“ (124 x 176,5 cm, Öl/Lwd.) beispielsweise zählte bislang zu den vielen im Krieg verbrannten oder verschollen geglaubten Arbeiten Rudolphs.

Der 13. Februar 1945 markiert die endgültigen Zäsur in seinem Werk. Rudolph überlebt das Inferno, in dem mehrere zehntausend Menschen seiner Stadt umkamen, die Bomben zerstören jedoch Wohnung und Atelier, große Teile seiner Bilder verbrennen. Er antwortet auf die Katastrophe mit über 400 Rohrfederzeichnungen, Aquarellen und Holzschnitten. Später schrieb er: „In der ruhelosen Vorstellung zwischen Schlaf und Wachen grub ich mit stählernem Griffel die Bilder der Zerstörung in Metall und Steinplatten, Strich um Strich wie Wunden ein. Bei nüchternem Tageslicht stand mir dann ein kleines Paket Zanders Büttenpapier, etwas Tusche und eine Rohrfeder zur Verfügung, die ich hatte retten können. Damit ging ich wie in einem Zwangszustand an mein Vorhaben ...“ Bis Ende der vierziger Jahre entstanden die Zyklen „Dresden 1945“, „Aus“ und der Aquarellzyklus „Dresden als Landschaft“.

Nach dem Krieg stellt er 1946 auf der ersten deutschen Kunstausstellung in Dresden u.a. neben Heckel, Schmidt-Rottluff und Beckmann aus. In dieser Zeit, als er wieder lehren darf – 1938 war er aus dem Lehramt entlassen worden; schon 1933 hing er neben Dix in der Dresdner Pogromausstellung „Entartete Kunst“ –, studiert auch der Düsseldorfer Farblyriker Gotthard Graubner an der Dresdner Akademie. Bei Rudolph lernt er atmosphärisch zeichnen und malerisch sehen. Graubner war es dann, der die wichtigste bundesrepublikanische Rudolph-Ausstellung 1975 in Düsseldorf organisierte. Für seinen Lehrer bleibt der akademische Auftrieb nur von kurzer Dauer: 1949 wird Rudolph als „Trümmermaler“ denunziert und erneut entlassen. Wieder läßt sich sein individueller Realismus nicht mit den herrschenden Dogmen vereinbaren. Den gewünschten Aufbauoptimismus kann er nicht geben.

Wilhelm Rudolphs Schicksal ist kein Einzelfall. In seinem 1980 erschienenen Buch „Die Kunst der verschollenen Generation“ beklagt der Marburger Kunsthistoriker Rainer Zimmermann die Rudolph-Abstinenz in den großen Museen und Galerien. Schließlich könne man auch Rudolph zu jener um 1890 geborenen „verschollenen Generation“ deutscher Maler zählen, die 1933 als „entartet“ denunziert wurden. Damit aber zerbrach vielleicht eine wesentliche Kontinuität in der deutschen realistischen Malerei. Bis heute konnten ihre Werke nicht in die öffentlichen Sammlungen zurückkehren.

Künstler wie Wilhelm Rudolph haben weder für die nächste Kunstausstellung gearbeitet, noch waren sie mediengewandte Selbstdarsteller. Auch deshalb wartet bis heute, zwölf Jahre nach Rudolphs Tod, sein Lebenswerk auf eine adäquate Rezeption. Bis heute gibt es kein Werkverzeichnis, keinen einzigen großen Bildband, keine Ausstellung, die sich seinem Gesamtwerk angemessen zu nähern versuchten. Auch sein einhundertster Geburtstag 1989 wurde halbherzig abgehakt. Erledigt – vor allem in seiner Heimatstadt Dresden. In deren umstrittener Kunstsammlung „Neue Meister“ gleicht man jetzt den Mangel an zeitgenössischer Malerei aus: um Platz zu schaffen, wanderten einige der wenigen Rudolph-Bilder ins Depot. Till Ehrlich