Wenn der Spucknapf häßlich spricht

Der Physiker und Psychologe Walter von Lucadou berät in seiner „Parapsychologischen Beratungsstelle“ in Freiburg Menschen, die glauben, Opfer eines unerklärlichen Spuks zu sein  ■ Von Annabel Wahba

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Gespenster aus dem Haus zu jagen. Man kann sich, wie es ein entnervter Familienvater tat, mit einer Axt in der Hand neben die Eingangstüre setzen, um dem Quälgeist im richtigen Moment den ätherischen Leib zu spalten. „Keine gute Idee“, meint Walter von Lucadou, „womöglich erschlägt der Mann eines seiner Kinder.“ Man kann natürlich auch, wie die amerikanischen Ghostbusters, die Thermo-Montur anlegen und die grünen Schleimmonster mit einer Vakuummaschine einsaugen. Originell, aber uneffektiv, findet Lucadou. Er hat seine eigene Methode.

Obszöne Stimmen aus dem WC-Schlund, Tischerücken und Steine, die durch die Räume sausen, gehören für den Parapsychologen Walter von Lucadou zum Alltag. Seit über dreißig Jahren erforscht der promovierte Physiker und Psychologe die Schattenseiten der Natur. Wo die Opfer des Spuks mit Furcht und Verzweiflung reagieren, bleibt Lucadou gelassen. Wenn mal wieder in einem Haus aus unerklärlichen Gründen ein Knall durch die Räume hallt, empfindet er keine Angst, sondern Neugierde. „Ich suche nach Gesetzmäßigkeiten in der Physik, mit denen ich den Spuk erklären kann.“ Lucadou ist weder ein schleimbekleckerter Geisterjäger, noch ist er ein Zauberformeln faselnder Teufelsaustreiber.

Er berät Menschen, die glauben, Opfer eines Spuks zu sein. Die Maschine im Besucherzimmer seiner „Parapsychologischen Beratungsstelle“ in Freiburg dient nicht etwa der Kontaktaufnahme mit Jenseitigen, sondern der Speicherung wichtiger Daten. Ständig huscht der kleine, etwas untersetzte Mann zwischen Telefon und Besucherzimmer hin und her. Und kaum hat Lucadou im Sessel Platz genommen, klingelt auch schon wieder das Telefon. Täglich rufen Leute an, die glauben, Geisterstimmen zu hören oder von Poltergeistern verhöhnt zu werden.

Kürzlich, erzählt Lucadou, rief eine Frau an, die auf ihren Schlagerkassetten immer wieder leise, seltsam brabbelnde Stimmen vernahm, so als spreche jemand auf russisch zu ihr. Verständnisvolle Freunde erkannten darin Stimmen aus dem Jenseits, die der Frau bei der Bewältigung der Trauer um ihren verstorbenen Mann helfen sollen. Ihr Arzt zögerte nicht lange. Er verschrieb der Frau Medikamente gegen Schizophrenie. „Diese Vorgehensweise ist unwissenschaftlich“, ärgert sich Lucadou. Man müsse die Dinge doch erst untersuchen, bevor man sich ein Urteil bilde. Lucadou ließ sich die Kassette von der Frau schicken, hörte sie an und hatte nach kurzer Zeit die Lösung gefunden. Das Tonband hatte sich verdreht, weshalb die Musik an einigen Stellen leiser klang und rückwärts lief.

Doch selbst wenn er ein Phänomen nach eingehender Untersuchung nicht erklären kann, ist das für Lucadou kein Grund, Menschen für verrückt zu erklären. Die Arroganz vieler Wissenschaftskollegen, die „in ihrem Elfenbeinturm sitzen“ und paranormale Phänomene ins Reich der Halluzinationen verbannen, macht ihn wütend. „Die Naturwissenschaftler wissen doch gar nicht, was in den Köpfen der Leute vorgeht.“

Die Wissenschaftler am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg, mit denen Lucadou eng zusammenarbeitet, haben schon Dutzende von Spukfällen untersucht. Trotz der Routine gebe es, wie es Lucadous Kollege Eberhard Bauer ausdrückt, Phänomene, die er „als subjektiv merkwürdig empfindet“.

Mit Eimern in den Händen standen die Menschen in dem westfälischen Dorf Scherfede vor ihren Reihenhäusern und starrten ungläubig auf das Wasser, das da seit drei Tagen in Kaskaden über die Stufen ihrer Häuser floß. Keiner wußte, woher es kam. Plötzlich war das Wasser da. Manchmal begann es mit einem Wasserfleck an der Decke, von dem sich dicke Tropfen lösten und zu Boden fielen. Ein andermal schien das Wasser aus dem Fußboden an die Oberfläche zu dringen. Bautechniker, Geologen und Hydrologen suchten tagelang nach einer Erklärung für die verblüffenden Geschehnisse. Vergebens. Wunderlich ging es zu in Scherfede. Einem Feuerwehrmann wurden die Überschwemmungen zu dumm. Er setzte sich in die Küche, beobachtete Fenster und Türe, um den Unhold zu entlarven, der mit seinen Wasserspielchen das ganze Dorf zum Narren hielt. Stundenlang habe er da gesessen, berichtete der Mann, und nichts sei geschehen. Dummerweise habe er sich dann kurz weggedreht, als ihn ein Kollege rief, und platsch! Eine Wasserlache glänzte auf dem Boden.

Außenstehende können sich über derlei Geschichten köstlich amüsieren, die Spukgeschädigten indes stehen kurz vor dem Kollaps. Die Teppiche in ihren Häusern waren durchnäßt, das Parkett verzog sich. In ihrer Verzweiflung hatten die Scherfeder Löcher in die Decken gebohrt, um die Quelle des feuchten Unheils zu finden. Eine Frau hatte das Ehebett mit einer Plastikplane überzogen. „Es ist kein schönes Gefühl“, erklärte sie, „nachts aufzuwachen, weil das Bett trieft.“

Als die Parapsychologen aus Freiburg nach Westfalen reisten, lag die letzte Überschwemmung einige Tage zurück. „Es ist das Schicksal der Parapsychologen, meist erst dann am Ort des spukigen Geschehens einzutreffen, wenn alles vorbei ist“, sagt Lucadou. Ein Umstand, der Parapsychologen bei den Kollegen Naturwissenschaftlern den Ruf naiver Geisterjäger einbrachte. Nach mehrtägigen Untersuchungen in Scherfede konnten auch sie keine Erklärung finden, die ihre Berufsgenossen gemeinhin als normal bezeichnen würden.

„So ist es nun einmal mit diesen Phänomenen“, erklärt Lucadou. Er hat gelernt zu akzeptieren, daß es Dinge gibt, die er mit den gegenwärtigen Methoden der Physik und der Sozialwissenschaften nicht erklären kann. Dazu gehören zum Beispiel die kalten Zonen in den Räumen Spukgeplagter. Immer wieder erzählen ihm Menschen, sie fühlten eine seltsame Kälte, wenn sie sich an einer bestimmten Stelle im Raum aufhielten. Lucadou hat die Kälte mehrfach selbst gespürt. „Ha ja, das kommt oft vor“, sagt er in gelangweiltem Ton. Eine rationale Erklärung hat er nicht, dennoch bleibt er gelassen.

Die Finanzierung seiner Untersuchungsprojekte gestaltete sich für den Forscher seit jeher schwierig. Kaum jemand will in eine Wissenschaft investieren, die als Steckenpferd einer Handvoll Spinner abgetan wird. Psychokinetische Phänomene – Gegenstände, die sich durch Geisteskraft in Bewegung setzen – haben die Eigenschaft, immer dann auszubleiben, wenn eine Kamera bereitsteht. Deshalb bezweifeln Skeptiker den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen und halten die Erzählungen von Spukopfern für eine Ausgeburt ihrer Phantasie. Andere wiederum glauben, in den ominösen Ereignissen ein Machwerk des Teufels zu erkennen.

Erst kürzlich meinte eine Nachbarin, es sei schon verwunderlich, daß Lucadou keine satanische Ausstrahlung habe, wo er doch tagtäglich dem Teufel begegne. Doch mit Beelzebub hat Lucadou nichts am Hut. „Ich glaube nicht an Geister“, sagt er. Lucadou hat ein physikalisches Modell entwickelt, das den Spuk erklären soll – das Modell der Pragmatischen Information (MPI). Für Menschen, die lediglich über rudimentäre Physikkenntnisse verfügen, dürfte das Modell nicht leicht durchschaubar sein. „Wenn Sie nicht verstehen, wie Ihr Fernseher im Detail funktioniert, werden Sie auch Probleme beim Verständnis des MPI haben“, sagt Lucadou. Extrem verkürzt läßt es sich so sagen: Das MPI überträgt Erkenntnisse aus der Quantenphysik auf das makroskopische System des Spuks.

Spuk ist nach Auffassung Lucadous vergleichbar mit einem Theater, durch das eine Person in einer seelischen Krise ihre Umwelt auf ein Problem aufmerksam machen will. Sie setzt ihre psychokinetischen Fähigkeiten jedoch nicht bewußt ein. Im Fall des Wasserspuks in Scherfede glaubten die Parapsychologen, daß ein dreizehnjähriges Mädchen die Erscheinung auslöse. Als es im Dorf spukte, durchlebte die pubertierende Kerstin eine schwierige Phase. Die Dorfbewohner behaupteten, die Überschwemmungen seien immer dann aufgetreten, wenn sich das Mädchen gerade in der Nähe aufhielt. Ging sie die Treppe hinunter, sei kurz darauf Wasser die Stufen hinabgeflossen. Die Parapsychologen hatten außerdem herausgefunden, daß Kerstin die Angewohnheit hatte, in fremden Häusern auf die Toilette zu gehen. In einigen Fällen habe sich genau zu dem Zeitpunkt irgendwo eine Wasserlache gebildet, als sie die Toilette benutzte.

Obwohl der Spuk in Scherfede nicht aufgeklärt werden konnte, ließ sich das Wasser nicht wegrationalisieren. Doch manchmal wundert sich Lucadou auch über die Leichtgläubigkeit der Leute. Dann verbiegt er – wohlgemerkt mit Geisteskraft – vor den Augen von Zuschauern einen Löffel. Ganz verblüfft fragen sie dann: „Was, Herr Lucadou, Sie haben paranormale Kräfte?“ Dabei ist der Trick ganz einfach und schon tausendmal vorgeführt worden. „Routine braucht man dazu“, mehr will Lucadou nicht verraten.

Angst und bange wird so manchem selbsternannten Geisterbeschwörer, wenn ihm Lucadou gegenübersitzt. Erst neulich ließ André Heller in einer NDR-Show seinen Wunderkasten aus Plexiglas ganz schnell verschwinden, als Lucadou ihn inspizieren wollte. Glühbirnen könne er zerspringen lassen, hatte sich Heller gebrüstet. Er tat wohl daran, nicht zu behaupten, er habe übersinnliche Kräfte. Sonst hätte Lucadou den Zaubertrick verraten.

Hämische Töne schlagen den Parapsychologen meist entgegen, wenn Journalisten über sie berichten. Und wenn dann mal ein Spuk als derber Spaß enthüllt wird, ist die Freude groß. So geschehen in einem Fall, der unter dem Namen „Chopper“ durch die Medien ging. Eine tiefe Stimme rief damals den Patienten einer Zahnarztpraxis Obszönitäten aus dem Spucknapf entgegen. Der Parapsychologe Hans Bender, damals Leiter des Freiburger Instituts, war skeptisch, da der Spuk nicht in das übliche Muster paßte. Dennoch konnte er keine Erklärung für die ominösen Vorgänge finden. Zufällig beobachtete ein Mitarbeiter Benders durch eine Spiegelung in den Wandkacheln, daß die Assistentin des Zahnarztes die rüde Stimme erzeugte, indem sie ihre eigene Stimme verstellte. Noch Wochen danach machten sich die Medien über Bender lustig.

Wieso sich Außenstehende die Häme nicht verkneifen, kann Lucadou nicht verstehen. Den Parapsychologen sei es immerhin gelungen, mit Experimenten und Tests zu beweisen, daß Phänomene wie Psychokinese und Telepathie von dieser Welt sind. Wer sich davon überzeugen will, kann sich bei Lucadou in die Beratungsstelle setzten und am Psychokinesecomputer testen, ob er den Zufall beeinflussen kann.