■ Was die Studis, so man sie ernst nähme, bewirken könnten
: Vereinbaren, nicht normieren!

Es gibt Studentinnen und Studenten. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es sich liest: in der offiziellen Wahrnehmung dieser Gesellschaft kommen sie nämlich selten als Subjekte vor. Vielmehr erscheinen sie als Funktionen übergeordneter Kategorien: sie dürfen studieren und Prüfungen ablegen, aber sie werden als definierbare Gruppe in den einschlägigen Gesetzen nicht erwähnt; sie sind Objekte der Studienberatung; sie sind quantitative Elemente der Zulassungs-, Einschreibungs- und Exmatrikulationsverfahren – und haben, als politische Individuen, Mitwirkungsrechte an den Entscheidungen der Hochschulgremien.

Offenbar ist noch niemandem aufgefallen, daß die Akteure in den Hochschulen höchst unterschiedlich wahrgenommen werden. Für wissenschaftliches Personal und auch für die Verwaltung existiert ein penibles Regelwerk. Studierende kommen nur als belehrte und behandelte Menschen zum Vorschein. Ich möchte diese Klientel im System suchen, damit ein genauer Blick auf ihre Bedürfnisse, Ziele und Verantwortlichkeiten möglich wird.

Bald werden zwei Millionen Studentinnen und Studenten an den Hochschulen leben und arbeiten. Wir wissen von ihnen unter anderem, daß ihre biographischen Entscheidungen für das Studium nicht mehr vorwiegend mit Blick auf künftige Spitzenpositionen gefallen sind. Wir wissen weiter, daß sie den „Aufenthalt“ im Umfeld der Wissenschaft als biographische Phase suchen, ohne allzu enge Beziehungen zu künftigen beruflichen Erwartungen zu knüpfen. Sonst wissen wir so wenig über die Studentinnen und Studenten, wie wir über die Hochschulen selbst uns zu wissen leisten.

Im öffentlichen Diskurs kommen die Hochschulen zuvörderst als Standortfaktoren vor, weniger schon als Forschungsstätten oder Dienstleistungseinrichtungen. Nichtökonomische Notwendigkeit und menschlicher Nutzen von Hochschulen bleiben beinahe gänzlich unbeachtet, ihre Aufgabenbestimmung hinkt weit hinter dem gesetzlich Formulierbaren zurück. Solche Aufgaben könnten durch einen gesellschaftlichen Minimalkonsens festgelegt werden: Das hieße, die Akteure in den Hochschulen und aus Gesellschaft bzw. Politik vereinbaren Zukunftsperspektiven für künftige Generationen und Forschungsschwerpunkte für das Weiterbestehen einer demokratischen, friedlichen und ökologisch sensiblen Gesellschaft. Wohlgemerkt: sie vereinbaren, nicht aber sie von oben „normieren“. Es geht um den Vorrang der ausgehandelten Konvention vor der aufgesetzten Norm!

Dann fiele auf: da gibt es ja noch Akteure, die im Alltag nicht als Millionenheer auftreten, sondern höchst differenziert existieren. Natürlich müssen diese Akteure auch selbst formulieren, wer sie sind und wer sie sein könnten. Aber das werden sie nur innerhalb des beschriebenen Kontexts schaffen. Dazu müssen sie ernstgenommen werden (altmodisch, nicht wahr?). Damit sie ernstgenommen werden können, sollten wir einige Fragen vorab klären:

Wie sieht es in unserem Land mit der Vorsorge für die Lebensqualität künftiger Generationen aus? Wie wichtig sind uns öffentliche Kompetenz und wissenschaftliche Grundkenntnisse bei der Beschreibung von Problemen und bei der Einschätzung von Lösungsoptionen? Und dann die pragmatische Frage, die von Realpolitik denkbar weit entfernt ist: Was ist uns das jeweils wert – und wie werden die notwendigen Mittel aufgebracht? Ohne die Studierenden dieser und der nächsten Generation sind diese Fragen nicht zu beantworten. Allerdings können wir sie auch nicht als einfachen Reflex auf die derzeitigen Hochschulstrukturen und Systemmängel lösen. Also bleibt nur, Reformen jetzt und Zukunftsvorsorge für morgen zu kombinieren.

Ernst nehmen heißt, den Status von Studierenden genauer und neu zu bestimmen. Wenn sie erwachsen sind, wofür ihr Zugangsalter und ihre staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten sprechen, dann müssen sie finanziell unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ihr Leben an der Hochschule bestimmen können. Wenn sie die gewaltigen Ansprüche an Wissenschaft für die Zukunft einlösen sollen, dann reicht es nicht, an die individuelle Leistungsbereitschaft zu appellieren. Die entsprechende Leistungsfähigkeit muß durch Ausbildung stimuliert werden. Dazu aber bedarf es des Bemühens um die Lebenswelt Hochschule als Ganzes, weil es eben nicht reicht, auf die eigentlichen Lehrveranstaltungen und die studentische Eigenarbeit zu setzen. Dann könnte gelten, und zwar für alle Hochschulangehörigen: alle sind berufen, aber an der Hochschule bleibt nur der, der sich auch an die Spielregeln hält. Der Gesellschaftsvertrag zur Wissenschaft kann sich nur als Generationenvertrag in der Bereitstellung der Mittel und als Studienvertrag in der Vermittlung darstellen. Die dafür notwendigen Mitbestimmungsformen lassen sich nicht durch eine Reparatur des Paritätenmodells herstellen, sondern nur aus einer Interessenallianz aller Hochschulangehörigen – Ernstnehmen, Vertrauen, aber auch Grenzen und Möglichkeiten der eigenen Kompetenz sind hier zu bestimmen.

Zunächst einmal die, daß die Hochschulkrise die ganze Bevölkerung betrifft. Speziell für die Studierenden gibt es mehrere Dimensionen der Organisation und Strukturierung von Interessen und Handlungsperspektiven:

1. Von der Statusgruppe zur Teilhabe an Wissenschaft

2. Von der Mitwirkung zur Gestaltung des Studiums

3. Von der abhängigen Konsumentenhaltung zur Lust und Anstrengung des Begriffs

Aus dem Konzept des Generationenvertrages ergibt sich, daß die Statusgruppenuniversität nicht mehr zeitgemäß sein kann. Im Hinblick auf die Organisation des Denkens und damit des Studiums könnte sich eine Verkehrsform des Konsenses einstellen. Zunächst ist es wichtig, daß Studierende sehr viel besser beraten als bisher in der Hochschule ihre biographischen und intellektuellen Erwartungen präsizieren und kritisch klären können. Auf dieser Grundlage kann allerdings erwartet werden, daß sich die Studierenden auch darüber klar werden, was sie von sich und der Hochschule zu fordern bereit und in der Lage sind: Präsenz, Verbindlichkeit in der Mitarbeit, regelmäßige Kritik der Veranstaltungen in deren Öffentlichkeit, Wahrnehmung von Beratungsangeboten, das sind die Aktionsfelder/-formen der Studierenden innerhalb der Hochschule und die Voraussetzungen, aus der abstrakten Forderungshaltung in eine „Partnerschaft“ mit der Institution zu gelangen.

Die Hochschule ist nicht primär der Ort der Selbstfindung, aber sie erlaubt – mit ihren privilegierenden Freiräumen und ihrer offenen Sozialstruktur – die Erprobung neuer Lebensformen (Beziehungen, Sprachen, Geschmack, soziales und kulturelles Kapital). Der studentische Beitrag hierzu ist dringend gefordert. Es geht auch darum, daß jede Studentin und jeder Student frühzeitig die Risiken des Scheiterns (es gibt ein Recht auf Scheitern – mit entsprechenden Sicherungsmechanismen) ebenso abschätzen lernt wie die Anforderungen, die einen Erfolg wahrscheinlich machen.

Die Voraussetzung einer hinlänglichen Grundfinanzierung macht zwei weitere Dimensionen der Reform realistisch: die studentische Selbstorganisation und die „Lebenswelt Hochschule“ als einen biographischen Ort.

Zur Selbstorganisation gehört nicht nur die hochschulpolitische Seite, sondern auch so etwas wie community service. Die Wahrnehmung von seines- und ihresgleichen als Individuen gibt Ausblick auf eine Vielfalt von selbstorganisierter Beratung, Hilfe, Kommunikation, Kultur der Studierenden untereinander. Ebenso ist das Hinausgehen vom Campus „in die Welt“ gefragt. Die dumpfe Nestwärme zusammengeklumpter Sprachlosigkeit kann leichter überwunden werden, als viele denken. Von der Lerngruppe über das informelle Tutorium bis hin zur Betreuung ausländischer KommilitonInnen oder dem Kontakt zu Bürgerinitiativen ist die Liste beinahe unbegrenzt ausbaufähig.

Ein „biographischer Ort“ ist die Hochschule, weil keine andere Institution ersetzbare Formung dieses Lebensabschnitts darstellt. Man muß das nicht so erhöhen wie die abgekapselte elitäre College- Kultur. Fest steht, daß das universitäre Lebensgefühl auch anderen Sphären wie Familie, Erwerb, Sexualität oder Kultur seinen Stempel aufdrückt. So entsteht ein besonderes Verhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Für die Öffnung der Hochschule zu dieser Öffentlichkeit, die für den Generationenvertrag einstehen soll, sind aber die Studierenden auch verantwortlich. Mit diesem Bewußtsein sollen sie zum Konsens über die Aufgaben und Funktionen der Wissenschaft in der Zukunft beitragen, besonders zu den Bedingungen, unter denen sie und die nächsten Generationen sich diese Wissenschaft aneignen werden.

(P.S.: Auch wenn es nervt. Nicht die 68er Legende müßte immer wieder aufgewärmt werden, aber die Menge an Reformmaterialien zur Gestaltung eines Studiums und einer Hochschule, die den Ort markiert, wo die Gesellschaft sich selber denkt und wo die Irrtümer und Hoffnungen präziser als anderswo formuliert werden können. Wir müssen nicht alles neu erfinden! Michael Daxner

Professor, Präsident der Universität

Oldenburg