Soweto, glücklich und strahlend

■ Südafrikas berühmtestes Township zelebriert die Befreiung / „Der Tag, auf den wir seit Jahrzehnten gewartet haben“

Soweto (taz) – Das wichtigste Instrument des Abends ist ein Flaschenöffner, „Sowetan style“: ein geschnitztes längliches Stück Holz, aus dessen einem Ende vier Schrauben hervorstehen. In der „Nacht der Nächte“ in Südafrika fließt reichlich Alkohol. Zahllose Einliter-Bierflaschen stehen auf dem Tisch, dazwischen in großen Glaskaraffen Whiskey und Gin.

Zwölf Männer sitzen am Montag abend bei „Ma Massie“ vor dem Fernseher versammelt. Frauen und Kinder sind zu Hause geblieben, Massie ist die einzige Frau in der Runde. Sie betreibt ein Shebeen in Orlando-East in Soweto, eine der vielen Township- Kneipen, die meist in den Wohnzimmern von ganz normalen Häusern liegen – Relikt aus einer Zeit, als es für Schwarze verboten war, eine Lizenz für Alkoholausschank zu bekommen. Auch Massies Shebeen dient der Familie tagsüber als Wohnzimmer. Ein großer rechteckiger Tisch steht dort, mit einer gehäkelten Tischdecke bedeckt, davor eine voluminöse Couchgarnitur mit Plastikschonbezügen.

In der modernen Schrankwand flimmert der Fernseher. Um halb neun Uhr abends wird live die ANC-Siegesfeier aus dem Johannesburger Carlton Hotel übertragen, und das ganze Land ist auf den Beinen. Zwei Straßen weiter, in Irenes Shebeen, hat das südafrikanische Fernsehen seine Kameras aufgebaut. „Es war uns ein bißchen mulmig, heute nacht hierherzukommen“, gesteht ein weißer Tonmann. Doch den wenigen weißen Reportern, die sich in dieser Nacht hierher wagen, schallt überall der Ruf „Willkommen in Soweto“ entgegen, und: „Es ist schön, daß Ihr hierher kommt und mit uns feiert.“

Vor dem Fernseher bei Massie wird heftig debattiert. Was er wohl sagen wird, der Held des Abends, und wie es wohl weitergehen wird im „neuen Südafrika“? „Das ist der Tag, auf den wir seit Jahrzehnten gewartet haben“, sagt Joseph Matseba. Und er sagt es immer wieder, gerührt, glücklich, strahlend. Seit seiner Jugend ist er ANC-Mitglied, wie fast alle der Anwesenden. Der heute 48jährige Bankangestellte hat eine typische südafrikanische Biographie: aufgewachsen in Johannesburgs Township Alexandra, ohne Vater, die Mutter immer wieder im Gefängnis, einer seiner Brüder von der Polizei erschossen.

„Das ist die Nacht der Versöhnung“

Als Mandela ans Mikrofon tritt, wird es mucksmäuschenstill. Jedes Wort seiner Rede wird aufmerksam verfolgt und mit Nicken oder zustimmenden Geräuschen kommentiert. Der Held der Nation trifft die Gemütslage; in der Stunde des Triumphes verzichtet er auf Abrechnung. „Man sieht sie ihm nicht an, die 27 Jahre Gefängnis. Was für eine unendlich lange Zeit“, murmelt John Mtobo, der als erster schon sehr betrunken ist. „Sieht er nicht phantastisch aus?“

Der so Gepriesene weiß, daß die einzige Chance für Südafrika in der Versöhnung liegt. Und die Männer bei Massie sind ganz seiner Meinung. „Wir müssen alle zusammenarbeiten, Schwarz und Weiß“, dieser Satz fällt häufig, wird fast beschwörend wiederholt. Alle nicken beifällig, als „der Präsident“ seinem Vorgänger de Klerk für seine Verdienste dankt. „Er hat eine große Rolle gespielt, dieser Typ, ob wir ihn mögen oder nicht“, gesteht auch Joseph Matsebe zu.

Als Mandela gewissermaßen offiziell die Erlaubnis zum Feiern erteilt – noch steht das endgültige Wahlergebnis ja nicht fest –, löst sich die Anspannung im Raum. Und als er die Verdienste seiner Anhänger, „des Volkes von Südafrika“, preist, kommt Jubel auf. Der Satz „Das ist auch Euer Sieg“, geht in lautem Rufen und Lachen unter. Alle springen auf, als der Held auf dem Bildschirm mit einem Glas Champagner dem „Volk von Südafrika“ zuprostet. „Wir sind frei, endlich frei!“ rufen auch die Männer bei Ma Massie.

Zwei Frauen kommen hereingetanzt und schwenken ANC-Fahnen. Draußen auf den Straßen wird es laut. Schüsse werden in die Luft gefeuert, Autoreifen angezündet. Hunderttausende sind jetzt auf den Straßen. Ein Mann in einem schicken roten Anzug stürzt in den Raum. „Was ist los, ist schon alles vorbei?“ Sidney Dlamini hat zwei Tage und zwei Nächte lang Stimmen ausgezählt, seine Augen sind gerötet, er redet abgehackt und mit sich überschlagender Stimme: „Naja, egal was er gesagt hat, das ist die Nacht der Versöhnung. Und morgen fangen dann die Probleme in diesem Land wieder an.“ Kordula Doerfler