Norwegen baut Endlager für seinen Atommüll

■ Radioaktive Abfälle aus Forschungsreaktoren sollen in ein Gebirge eingemauert werden / Umweltschutzgruppen und die schwedische Atombehörde protestieren

Oslo (taz) – Das norwegische Parlament hat Ende letzter Woche beschlossen, ein Atommüllager in ein Bergmassiv zu bauen, das von ExpertInnen für völlig ungeeignet angesehen wird. Im Himdalen, in unmittelbarer Nähe der norwegisch-schwedischen Grenze, sollen teilweise hochradioaktive Abfälle aus den beiden norwegischen Forschungsreaktoren Kjeller und Halden gelagert werden. 50 Meter tief in den Felsen eingesprengt in einem Gebiet, das von vielen Bergspalten durchzogen ist und als erdbebengefährdet gilt. Sickerwasser droht, so die Befürchtungen weiter, ins Grundwasser einzudringen und in einen Fluß zu laufen, der durch dichtbesiedeltes Gebiet fließt.

Vor allem vor dieser Gefahr warnen Umweltorganisationen und der norwegische Geologenverband seit Monaten. Die Internationale Atomenergieagentur, IAEA, hat von der norwegischen Regierung Baupläne angefordert und ihren fachmännischen Rat angeboten.

So lange mochte die Regierung aber nicht warten. Noch vor der Stellungnahme der Wiener Agentur hat sie mit den Stimmen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der konservativen Höyre und der rechtsextremen Fortschrittspartei den Baubeschluß durchs Parlament gedrückt – unter heftigem Protest der Opposition. „Ich habe es noch nie erlebt, daß eine Frage mit so großer Bedeutung auf so schwacher Informationsgrundlage entschieden wurde“, sagte die Vorsitzende des umweltpolitischen Parlamentsausschusses, Ragnhild Queseth-Haarstad. Nick Barton vom Norwegischen Geologischen Institut spricht von einer „alarmierenden und unverantwortlichen Lösung“.

Auch die schwedische Regierung beklagt sich. Obwohl das Atommüllager nur 30 Kilometer von zwei schwedischen Gemeinden entfernt liegt, wurde das Nachbarland über die Pläne nicht unterrichtet. Schwedische Atomkraftexperten verweisen darauf, daß das Himdalen-Lager wesentlich brisanter sei als aller bislang in Schweden gelagerter Atommüll. Zwar beläuft sich das Volumen des norwegischen Mülls – 2.500 Fässer, die in der Nähe des Forschungsreaktors von Kjeller liegen – auf nicht einmal ein Prozent der schwedischen Atommüllmenge – Norwegen besitzt keine Atomkraftwerke –, aber in den beiden Forschungsreaktoren wurden Versuche mit der Wiederaufbereitung kommerzieller Brennstäbe unternommen. Der Plutonium-Anteil dürfte daher höher sein als in den schwedischen AKW-Abfällen.

Bei der schwedischen Kernkraftinspektion SKI wird das gesamte Konzept der norwegischen Endlagerung kritisiert. Das Projekt im Himdalen geht davon aus, daß man das Lager durch ständige Drainage trocken halten kann. SKI hält es für verfehlt, ein Lager für Atommüll mit hohem Plutoniumanteil – Halbwertzeit 24.000 Jahre – zu konzipieren, das von vorneherein ständiger technischer Überwachung und mechanischer Entwässerung bedarf. Schweden lagert den größten Teil seiner radioaktiven Abfälle in einem unter dem Meeresboden in den Felsgrund gesprengten Lager.

Die norwegische Regierung verteidigt das Projekt mit der Behauptung, es gebe in Norwegen kein geeigneteres Bergmassiv für ein Atommüllager. Was ExpertInnen unter Hinweis auf das schwedische Endlager unter dem Meeresboden bestreiten: Norwegen versuche, seinen Atommüll nur möglichst billig loszuwerden. Etwa sechs Millionen Mark soll es kosten, die Fässer in Betonsärge einzumauern. Wirtschaftsminister Jens Stoltenberg traut der Sache offenbar selbst nicht recht. „Wenn wir merken, daß der Beton nicht recht dicht hält oder Radioaktivität austritt, können wir das ganze Zeug ja wieder hoch holen.“ Reinhard Wolff