Scharping – der Reformer?

Die Reihen fest geschlossen: Die SPD demonstrierte Einigkeit und stellte sich voll hinter ihren Kanzlerkandidaten / Programmentwurf der SPD wurde nachgebessert  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Nach dem SPD-Parteivorstand, der am Montag bei nur einer Enthaltung dem Regierungsprogrammentwurf zugestimmt hat, erteilte gestern auch der Parteirat seinen Segen. „Eine sehr erfreuliche Sitzung“, kommentierte der Parteirats-Vorsitzende Harald Ringstorff die Beratungen. Die Diskussion habe „sehr, sehr deutlich“ gemacht, daß die SPD hinter Parteichef Rudolf Scharping und seinem Kurs stünde. „Auch die Linken haben mich autorisiert, das zu sagen.“ Der Rückzug des Parteilinken Christoph Zöpel aus der Programmkommission und dem engeren Team Scharpings war gestern nur noch eine Marginalie. Auch Kritiker des Entwurfs, die sich im Vorfeld für deutlichere ökologische Akzente eingesetzt hatten, äußerten sich nach den Veränderungen, die der Parteivorstand beschlossen hat, positiv. Der baden-württembergische Umweltminister Harald Schäfer zeigte sich „zufrieden“ mit der Überarbeitung des Ökologieteils. Es handle sich nun um ein „ökologisch zukunftweisendes Programm“.

Der Parteivorstand hatte die umstrittene Formulierung zum Tempolimit nicht noch einmal verändert. Überarbeitet wurden die Aussagen zum Atomausstieg. Aus der Formulierung: „Wir werden die Weichen zum Ausstieg aus der Atomenenergie stellen“ wurde nun: „Wir werden aus der Atomenergie aussteigen ...“ Weiter heißt es: „Wir lehnen den Neu- oder Ersatzbau von Kernkraftwerken ebenso ab, wie den Einstieg in eine neue Kernkraftwerksgeneration.“ Die Aussagen zur ökologischen Steuerreform wurden ausgebaut, ausdrücklich aufgenommen wurde unter anderem der Verweis auf das „Fortschritt 90“-Programm des letzten Bundstagswahlkampfes. Auf Drängen der Umweltpolitker wird die Bedeutung erneuerbarer Energien stärker herausgestellt. Der Entwurf faßt die Maßstäbe für die Steuer- und Finanzpolitik strikt zusammen: „Für unser Regierungsprogramm gelten vor allem drei klare finanzpolitische Grundsätze: 1. Keine Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote. 2. Mittelfristige Rückführung der Neuverschuldung. 3. Strikter Finanzierungsvorbehalt für alle Maßnahmen des Regierungsprogramms.“ Der Entwurf enthält auch die 10-Prozent-Ergänzungsabgabe, die eine SPD-geführte Regierung anstelle des Solidarzuschlags von 7,5 Prozent setzen will, den die Bundesregierung ab 1995 einführen wird. Die Ergänzungsabgabe soll bei Einkommen ab 60.000 Mark für Ledige beziehungsweise 120.000 Mark für Verheiratete gelten. Nach den Gremiensitzungen dieser Woche dürfte auch feststehen, daß der Parteitag am 22. Juni das Programm mit deutlichen Mehrheiten billigen wird. Es werde weitere Diskussionsbeiträge geben, sagte Scharping. Das sei weiter erwünscht. Jedoch: „Ich gehe davon aus, daß in der Substanz, in den Eckwerten völlige Klarheit besteht.“ Der SPD-Chef legte bei seinem Auftritt vor der Presse sichtlich Wert darauf, den Reformgehalt zu betonen: „Ein Programm der klaren Reform und Modernisierung, der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialstaattlichen Modernisierung“. Weder bei den Grünen noch bei der Union, die Scharping bei dieser Gelegenheit attakierte, sieht er Ideen, die „Reformbereitschaft mit den Erfordernissen einer zukunftsträchtigen Modernisierung verbinden“. In der Union gäbe es keine Idee mehr, die noch zusammenhalte. Bei den Bündnisgrünen würde es manchem dämmern, daß einige Parteitagsbeschlüsse „die Akzeptanz für ökologische Reformpolitik beschädigen“.

Wie im Parteivorstand ist Scharping auch im Parteirat von Mitgliedern aus dem Führungskreis unterstützt worden. Im Gegensatz zum Parteivorstand, wo noch der Rückzug Zöpels andiskutiert wurde, nahm sich der Parteirat dieses Themas nicht mehr an. Scharping hatte das Gremium an das Ergebnis der letzten Bundestagswahl erinnert. Wenn man eine so schwache Ausgangsbasis habe, müsse man sich auf sehr wenige Punkte ganz konzentrieren.