Vor fahlgrünen Polizistenhosen

■ „Beth Hachajim“: Ein Dokumentarfilm über den jüdischen Friedhof in Ottensen

Ob die halbnahe Kameraeinstellung dem Thema angemessen ist? Diese Frage stellt sich wiederholt bei dem Dokumentarfilm Beth Hachajim - Haus des Lebens von Jens Huckeriede. Die auch als medium shot benannte Einstellungsgröße, die einen Menschen von der Hüfte an aufwärts zeigt, kennzeichnet den Film-Blick auf jene orthodoxen Juden, die 1992 wegen des zum Baugelände erklärten jüdischen Friedhofs nach Ottensen gekommen waren, um die Bebauung zu verhindern.

Mehrmals zeigt der Film, wie sie für die einst dort Bestatteten beten. Jeweils aus einer leicht aufsichtigen Perspektive der Kamera, sind ihre Oberkörper und ihre Gesichter zu sehen; einmal vor dem Hintergrund fahlgrüner Polizistenhosen, ein anderes Mal bildet die regungsarme Rückenpartie von Uniformjacken den massiven Vordergrund. Ihren Sprechgesang begleitet die rhytmische Motorik der sich immer von neuem nach vorn beugenden und wieder zurückwippenden Körper. Kaum sind sie so in dem gewählten Bildrahmen zu halten – dem Dokumentaristen scheinen die Klagenden in ihrer ganzen Körperlichkeit fremd zu bleiben.

Auch ihren Beweggrund aus eigenem Munde mitteilen zu lassen, versäumt der Film. Ersatzweise kommen zwei Hamburger Juden, der hiesige Landesrabbiner und ausgerechnet ein aufstrebender Kulturgeschäftiger, recht redselig zu Wort. Als ob die Haltung der Orthodoxen, die damals im Umfeld des Friedhofsgeländes auf vehementes Unverständnis stieß, nur im Modus des Kommentars zum Ohr des Zuschauers gelangen sollte.

Gleiches gilt für die Gegenposition, den verhohlenen Antisemitismus. Eine Anwohnerin, die ihre Wohnung den jüdischen Demonstranten zur Verfügung stellte, berichtet zwar erschreckend von der Reaktion ihrer Nachbarn: „Die haben sie vergessen zu vergasen“ hätten sich die um ein „judenfreies Treppenhaus“ Besorgten empört. Auch diese Stimmen hätten im Originalton ausfindig gemacht werden können.

Mit dem Nachholen jüdischer Kulturgeschichte – aus dem Off werden Erinnerungen von Joseph Roth und Miriam Carlebach verlesen – hat sich Huckeriede eindeutig zuviel vorgenommen. Die größere Intensität vermittelt sein Video, wenn die Tonspur stumm bleibt: beim beklemmenden Wegtragen eines jüdischen Demonstranten durch zwölf Arme der staatlichen Gewalt, oder wenn die laufende Kamera auf den Schwarzweiß-Aufnahmen des Fotografen Asmus Henkel verharrt, die unaufdringlich, durch den Einsatz eines Weitwinkels, die Isolation der jüdischen Protagonisten nahebringen.

Hendrik Feindt

Lichtmeß, 10. und 11.5., 20 Uhr.