Druckers feine Nadelstiche

■ Medien-Arbeitskampf in Hamburg: Gewerkschafter entdecken zivilen Ungehorsam / Arbeitgeber federn ab oder werden nervös Von Uli Exner

Peter Kruse ahnt Fürchterliches: Mit einer Art „Guerilla-Taktik“ wolle die IG Medien „die Unternehmen in kleine Räterepubliken“ verwandeln, wetterte der Chefredakteur des Hamburger Abendblatts am Dienstag per Leitartikel. „Der untergegangene Sozialismus“ lasse schön grüßen.

Die an längst vergangene Zeiten erinnernde Nervosität des Springer-Manns kommt nicht von ungefähr und dürfte nach dem vorläufigen Scheitern der Schlichtung in der Druckindustrie noch steigerungsfähig sein. Nicht nur die weniger auf Lohnzuwachs als auf mehr Mitbestimmung und soziale Flexibilität in den Unternehmen ausgerichteten Forderungen der Gewerkschaft bringen die Verlage auf die Palme. Auch die neue Streik-Taktik bereitet Hamburgs Medienkonzernen Kopfzerbrechen.

„Marktwirtschaftlich orientierte Streiktechnik“ nennt Hamburgs stellvertretende IG-Medien-Chefin Ulrike Fürniß die für die Gewerkschaft ebenso (Streik-)kostensparende wie effiziente Methode: Nicht mehr komplette Belegschaften vor dem Werkstor zusammentrommeln und dann zuschauen, wie wenige leitende Angestellte die Maschinen am Laufen halten, sondern abteilungsweise Sand ins Betriebsgetriebe streuen. Fürniß' Motto: „Streiken, wo's wehtut.“

Zum Beispiel in Springers Tief-druckerei in Ahrensburg, wo solch illustre Publikationen wie Hör zu, Auto Bild und Funk Uhr gedruckt werden und Erwin Kroiß derzeit „kleine intelligente Streiks“ proben läßt. Wenn in der Bildherstellung viel zu tun sei, so der Betriebsrats-Haudegen, dann legten die Mitarbeiter dort eben mal den Kittel zur Seite. Danach sei möglicherweise die Druckzylinderherstellung dran. Bis man schließlich bei der Weiterverarbeitung der Hefte ankomme.

Druckers feine Nadelstiche, berichtet Kroiß, könnten das Erscheinen der Zeitschriften zwar genausowenig verhindern wie die Vollstreiks der Vergangenheit, brächten aber bei geringem Einsatz größtmöglichen Erfolg: Qualitätseinbußen, Kostensteigerungen und erhebliches Durcheinander bei den Produktionsplänen. „Wir üben hier ein bißchen zivilen Ungehorsam.“

Den „Spaß an der neuen Methode“, den Kroiß bei den Springer-Druckern entdeckt haben will, teilt auch sein Gewerkschaftskollege Boje Holz, Betriebsrat beim 660-Mann Betrieb Broschek-Druck in Rahlstedt. Nachdem die Kollegen zunächst ein wenig gemault hätten über die neue Streik-Taktik, sei die Stimmung bei Broschek inzwischen „einmalig“. Soviel Solidarität in der Belegschaft meint Holz in seinen 16 Jahren als Betriebsrat noch nicht verspürt zu haben.

Die nach den schnellen Einigungen in den Tarifverhandlungen anderer Branchen von der Hartnäckigkeit der Mediengewerkschaft überraschten Arbeitgeber stehen den „spontanen Aktionen unterhalb der Schwelle zum regulären Streik“ (Abendblatt) derzeit einigermaßen unentschlossen gegenüber. Bodo Köpp, Geschäftsführer beim Verband der Druckindustrie Nord, sieht derzeit noch keinen Grund zu Panik: Die neue Taktik der Gewerkschaften könne derzeit von den Betrieben durchaus noch „abgefedert“ werden.

Am Montag will die Tarifkommission der IG Medien über ihr weiteres Vorgehen beraten. Durchaus möglich, daß die Zeit der Betriebs-Guerilleros, Notausgaben und furchtsamen Chefredakteure noch ein wenig andauert.