Schämen für rotgrüne Koalition?

■ Ein Offener Brief: Die scheidende niedersächsische Fraktionsvorsitzende Thea Dückert geht mit ihrer Partei ins Gericht: Die Grünen an „traurigem Tiefpunkt“

Thea Dückert, die scheidende Fraktionsvorsitzende der niedersächsischen Grünen, geht mit ihrer Partei ins Gericht. „Es ist ein politisches Armutszeugnis der Landespartei, wenn sie über die Feststellung des stimmenmäßigen Wahlerfolges hinaus keinen Versuch der Analyse der vier Jahre rot/grün und deren Konsequenzen für Niedersachsen und für Bonn macht“, schrieb sie dem Landesverband in einem Offenen Brief. „Während der gesamten Koalitionszeit“ habe die Delegiertenkonferenz der Partei nie über die „Wirkungen der Koalition für die Partei“ debattiert.

Die niedersächsischen Grünen haben als einzige bei den Landtagswahlen deutliche Stimmengewinne verbuchen können und sind von 5,5 auf über 7 Prozent gestiegen. Das reichte aber nicht, um eine absolute Mehrheit der SPD im Landtag zu verhindern. Es sei „zwar entlastend, aber falsch, die schlappe FDP“ dafür verantwortlich zu machen, sagt Dückert, daß die SPD einen Sitz Mehrheit im Parlament hat – 19.000 Stimmen fehlten den Grünen und sie hätten dies verhindert. Für Dückert hätten die Grünen die Chance gehabt, diese 19.000 Stimmen zu gewinnen, wenn sie ihr Potential besser ausgeschöpft, etwas selbstbewußter in den Wahlkampf gegangen wären.

Dückert macht in ihren Papier eine grüne Politik-Haltung dafür verantwortlich, die sie in der Person der grünen Landesvorstandssprecherin Gila Altmann repräsentiert sieht. Die hat den Ausdruck geprägt, die Grünen hätten „trotz (!) Regierungsbeteiligung bei der Wahl zugelegt“. So ist auch der Wahlkampf geführt worden, sagt Thea Dückert: Vielen Grünen an der Basis sei es eher unangenehm gewesen, daß die grüne Fraktion und die beiden MinisterInnen im Kabinett Schröder mitregieren. Ein Selbstbewußtsein als mitregierende Partei sei im Wahlkampf nicht spürbar gewesen. Thea Dückert fragt sich angesichts dieser Tatsache, „wie ernst die Koalitionswünsche für Bonn gemeint sind“.

Anstatt die Differenz zwischen Regierungshandeln und Parteiprogrammatik offen zu diskutieren und daraus eine „bewußte und gewollte Arbeitsteilung zwischen Partei und Fraktion“ zu entwickeln, hätten sich die Grünen innerparteilich in den vier Regierungsjahren selbst blockiert. Der Landesvorstand habe sich und die Partei als „Hort des Guten“ verstanden und dargestellt, die mitregierenden Grünen dagegen als diejenigen dargestellt, die die Grundsätze aushöhlen. Die grüne Partei habe „die Herausforderung nie angenommen, die mit dem Versuch der Vermittlung zwischen Programmatik und Realität verbunden ist“. Fazit der aus dem Parlament ausscheidenden Volkswirtin: „Trotz des Wahlerfolges sind wir in Niedersachsen intern an einem traurigen Tiefpunkt angelangt.“

Der parteiinterne Streit um die Rolle der Grünen hat sich auch in der Konkurrenz um den Spitzenplatz für die Bundestags-Kandidatenliste gezeigt: Frauenministerin Schoppe kandidierte (und verlor) gegen die Landesvorstandssprecherin Gila Altmann. Letztere hatte auf dem letzten Grünen-Parteitag auch die geforderte aktuelle Debatte über Gorazde verhindert mit der Begründung, dies solle auf einer späteren Delegiertenonferenz und dann besser vorbereitet stattfinden. „Soll die jetzige Sitution in Gorazde im Juni oder im Oktober diskutiert werden, oder was war gemeint?“ fragt Thea Dückert in ihrem Offenen Brief bissig.

Die Diskussion um das Selbstverständnis der niedersächsischen Grünen und um das aktuelle europäische Thema wurde verhindert, um für die Wahlen zu der Landesliste mehr Raum zu haben. „Wir sind zu einem Wahlverein verkommen“, stellt Thea Dückert fest. die Ossositionszeit sei vielleicht eine Chance, „innerparteilich Versäumtes nachzuholen“. K.W.