Behinderte müssen draußen pinkeln

■ Nur 20 von 10.000 Berliner Gaststätten verfügen über behindertengerechte Toiletten / Lücke in der Bauordnung

Nur 20 von 10.000 Berliner Gaststätten verfügen über eine behindertengerechte Toilette. Meist sind die Gästeklos im Keller, oder sie sind zu schmal für RollstuhlfahrerInnen. „Das kommt einem Hausarrest gleich“, stellt Klaus Fischbach fest. „Ich muß meine kulturellen und sozialen Aktivitäten davon abhängig machen, wo ich eine Toilette finde“, ärgert sich der 50jährige Verwaltungsbeamte. Das Gefühl, unerwünscht zu sein, grenze an psychische Folter.

Gastwirte, die Fischbach auf das Problem ansprach, redeten sich meist damit heraus, daß behindertengerechte Toiletten nicht gesetzlich vorgeschrieben seien. Die Berliner Bauordnung läßt hier ein Schlupfloch: Nach Paragraph 51 muß nur dann behindertengerecht gebaut oder umgebaut werden, wenn RollstuhlfahrerInnen eine öffentliche Einrichtung nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig aufsuchen. Seit drei Jahren kündigt die Senatsbauverwaltung an, daß sie die Bauordnung ändern will. Geschehen ist bislang nichts.

Inzwischen haben die Stadträte von Charlottenburg, Steglitz und Wilmersdorf die Initiative ergriffen. Bislang stellen sich die Gewerbeämter auf den Standpunkt, daß Behindertentoiletten eine baurechtliche und keine gewerberechtliche Angelegenheit sind. Wenn die Baubehörde auch bei fehlender Behindertentoilette die „baurechtliche Unbedenklichkeit“ bescheinige, hätten die Gewerbeämter keinerlei Handhabe, einem Kneipier die Lizenz zu verweigern. Auf Initiative des Steglitzer Wirtschaftsstadtrats Udo Bensel (B 90/Grüne) hat sich der Bezirk im März von dieser passiven Linie verabschiedet. Bei Umbauten oder Erweiterungen weise der Baustadtrat die Gastwirte von Anfang darauf hin, daß sie nur eine Lizenz bekämen, wenn sie ihr Lokal behindertenfreundlich ausbauen. Mit den zwei Gastwirten, die seitdem einen Umbauantrag stellten, wurde Bensel schnell einig. „Die haben das direkt akzeptiert“, sagt er. „Es ist nicht immer ein Kampf, das durchzusetzen. Aber von sich aus würden sie es auch nicht machen.“

Auch der Charlottenburger Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD) hat die Erfahrung gemacht, daß zumeist eine Einigung gelingt. Das Argument, daß die Kosten für den Umbau kleinere Betriebe in den Ruin treiben könnten, widerlegt Bensel. In der Regel koste der Umbau einer Gaststätte eine halbe Million. „Wenn der behindertengerechte Ausbau von Anfang an in die Planung einbezogen wird, verteuert sich das um ganze 5.000 bis 15.000 Mark.“ Das sei durchaus zumutbar. Dennoch wird jeder Einzelfall geprüft.

Eine verbindliche Regelung wird derzeit im Hause von Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) erarbeitet. Die Gaststättenverordnung soll künftig vorschreiben, daß ab einer bestimmten Größe des Lokals eine Behindertentoilette vorhanden sein muß. Greifen soll die Neuregelung nicht nur bei Neu- und Umbauten, sondern auch bei Erteilung einer neuen Konzession. „Bei etwa 2.000 Gaststätten wechselt jährlich der Pächter. Wenn wir erreichen, daß davon 50 bis 100 behindertengerecht umgebaut werden, ist das schon ein Fortschritt“, sagt Peter Stadie von der Abteilung Gewerberecht. Bis zum Ende der Legislaturperiode im nächsten Jahr soll die Neuregelung unter Dach und Fach sein. Die Fraktion von Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus will auch Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) auf Trab bringen. In Kürze wird die sozialpolitische Sprecherin, Brigitte Engler, einen Antrag zur Änderung der Bauordnung einbringen. Dorothee Winden

Hinweise zum Europaweiten Protesttag der Behinderten auf Seite 2