„Ich spiele Blödsinn“

■ Tennis mal anders – Karsten Braasch

Hamburg (taz) – Genervten Blickes versucht sich Karsten Braasch durch den Autogrammjäger-Pulk zu schleichen. Vergebens, nach seinen beiden ersten Spielen bei den German Open am Hamburger Rothenbaum ist der 26jährige plötzlich ins Rampenlicht gerückt. Am Montag besiegte er Ivan Lendl in der ersten Runde klar mit 6:3 und 6:1, Tags drauf setzte er sich gegen den Russen Andrej Olhowsky ebenso deutlich durch. Die Gunst des Hamburger Publikums erwarb sich der 26jährige Karsten Braasch nicht nur durch die Souveränität seiner Erfolge. Vielmehr zeigten sich die hanseatischen Tennishools von seiner Spielweise und seinem ungewöhnlichen Auftreten – auch außerhalb des Platzes – angetan.

Rein äußerlich schon unterscheidet sich der Marler von dem glattgetunten Äußeren der Stars der deutschen Racketszene: Ein Oberlippenbart, der in dieser Form allenfalls noch in ostdeutschen Profi-Fußballteams vorzufinden ist, eine Brille, die einem mittleren Sparkassenangestellten als progressiv angedreht werden kann, in Wirklichkeit nicht viel mehr ist als ein modifiziertes „Oggersheimer“ Modell. Dazu eine viel zu weite Tennishose, die in ihrer Bequemlichkeit vollends den Eindruck hinterläßt, daß es sich bei Braasch eigentlich um einen Breitensportler handeln muß.

In der Manier eines ambitionierten Hobbyspielers agiert Braasch auch auf dem Spielfeld. Das Tennismagazin krittelte, Braasch verfüge über keinen ausgesprochenen Winnerschlag. Doch dem Marler ist es gelungen, den Stopp – zu unmöglichen Zeitpunkten gespielt – punktbringend einzusetzen. Zum Genuß des Publikums, das es sichtlich gerne sah, einen Spieler wie Ivan Lendl auf diese Weise düpiert zu sehen. Auch der slapstickartig anmutende Aufschlag von Braasch, eine gewaltige Ganzkörperdrehung mit anschließendem zentimeterhohem Hupfer, erinnert so stark an Betriebssportgruppentennis, daß die Gegner zuerst irritiert scheinen und dann staunen, mit welch einer Wucht und mit welchem Spin ihnen die Bälle entgegenkommen. Braasch: „Wenn ich meine Aufschläge im Fernsehen sehe, lache ich mich auch schlapp.“ Nichts zu lachen haben indes seine Gegner, denen er die Bälle bevorzugt vor die Füße zu spielen pflegt. Dazu meint der Mann im Tegtmeierslang seiner Ruhrpottheimat: „Ich spiele absoluten Blödsinn, aber ich kann gar nicht anders spielen.“ Seinen Feinschliff hat er, der angibt, täglich bis zu einer Schachtel Zigaretten zu rauchen, nicht in der Nachwuchsförderung vom Deutschen Tennisbund erhalten. Genußvoll wird jetzt medial ausgeschlachtet, daß Braasch zeitweise in einem Campingwagen von Challengerturnier zu Challengerturnier tingelte und sich dabei von Doggy- Bags ernährte, Resten also, die er bei den zahlreichen Buffets zusammenschnorrte. Auch sein Bekenntnis, daß er abends gern mal ein, zwei oder drei Pils trinke, sorgt eher für die Sympathie der hanseatischen Tennishools als die asketische Aura eines Michael Stich – solange der Sünder Erfolg hat. Braasch indes kann den plötzlichen Rummel um seine Person nicht nachvollziehen. „Ich habe doch schon immer so gespielt“, beschwört er die versammelte Journaille. Und sehnt sich nach der Zeit zurück, als ihm noch nicht täglich die gleichen Fragen gestellt worden sind („Herr Braasch, warum sind Sie eigentlich ein so lockerer Typ?“). Kai Rehländer