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■ Ein „Manifest“ der Bürgermeister zur Rettung der StädteDie Volksverdummer

„In vielen Metropolen der Welt sind Horrorvisionen Wirklichkeit geworden. Soweit darf es in unseren Großstädten nicht kommen. Das lassen wir nicht zu!“ So beginnt das „Manifest“ der Oberbürgermeister sieben deutscher Großstädte: „Rettet unsere Städte“. Katastrophisch und verschwiemelt fahren sie in ihrem Buch fort: „Wir wollen nicht, daß sich Arme-Leute-Siedlungen wie ein Gürtel um unsere Innenstädte legen und die Villenviertel der Begüterten abgeriegelt und von der Privatpolizei streng bewacht werden.“

Deutsche Oberbürgermeister machen Stimmung, parteiübergreifend. Stern, Spiegel und andere Medien drehen dieselbe Gebetsmühle. Die Diagnose: individualistisches Anspruchsdenken (bei den „armen Leuten“), immer mehr Drogentote und Ladendiebe, Wohnungsnot, Verkehrsstau, Verschuldung. Die Sanierungsvorschläge: Bäder, Büchereien, Theater und Sozialeinrichtungen schließen, Personal abbauen, Aufgaben an private Dritte vergeben. So schrecklich die kommunale Katastrophe ist, so schnell soll sie abgewendet sein.

Mit Rommel, Burger und Kronawitter melden sich OBs zu Wort, die seit Jahrzehnten, mit führenden Funktionen im Deutschen Städtetag, eben die Entwicklung persönlich zu verantworten haben, die sie beklagen. Diepgen, Voscherau und Bungert waren Vorsitzende ihrer Mehrheitsfraktionen. Der kommunale Investitionsboom der 80er Jahre – U-Bahnen, autogerechte City, Einkaufszeilen, subventionierte Großkultur – wurde mit struktureller Unterdeckung der Haushalte finanziert. Die populistische Förderung der Individual-Genuß-Kultur-Stadt für alle schlägt nun um in die populistische Geißelung ihrer wirklichen oder angeblichen Folgen. Zugleich wurden notwendige Investitionen unterlassen: Seit Jahrzehnten staut sich in den undichten Kanalisationen und im altlastenverseuchten Grundwasser ein verheimlichter Milliarden-Investitionsbedarf an.

Die Sanierer prügeln gelegentlich auf einen gemeinsamen Buhmann ein: den „Bund“. Natürlich hat die Bundesregierung neue Ausgaben den Städten zugeschoben, für Sozialhilfe, „Aufbau Ost“ und so fort, zuletzt bei der Privatisierung der Bundesbahn. Aber das hat schon unter der SPD-Bundesregierung angefangen. Norbert Burger, SPD-OB Kölns und Präsident des Deutschen Städtetages, könnte als Nachfolger von CDU- Rommel den Widerstand gegen die jetzige Bundesregierung organisieren – aber da tut sich nichts, außer gelegentlichem „Aufschrei“ nach dem Muster des „Manifests“. Statt konkreter politischer Schritte wird ein moralisierender Städte- Interessen-Einheitsbrei geknetet, den jede Bundesregierung mühelos den Schreiern in den Hals zurückstopft.

Gemeinsame Forderung der Rettungskampagne ist „Verwaltungsreform“: Verschlankung, Controlling, moderne Formen der Steuerung, Vergabe von Aufgaben an Dritte. Da ist gewiß viel zu machen. Aber bei der Privatisierung müßte die bisherige Praxis in den Kommunen bilanziert werden. In jeder Großstadt gibt es seit Jahrzehnten Dutzende von Privatunternehmen mit kommunalen Aufgaben: Aktiengesellschaften für Gas-, Elektrizitäts- und Wasserverkauf, Messe-, Flughafen und Häfen – GmbHs, Transport-, Sportstätten- und Wohnungsbaugesellschaften usf. In den letzten Jahren wurden private Abfall- und Abwasserunternehmen gegründet. Sie trugen und tragen aber aufgrund kommunaler Vorleistungen, Kapitaleinlagen, Verlustausgleiche und Garantien zur Verschuldung der Städte bei und zur Erhöhung der Verbraucherpreise. In den Aufsichtsräten sitzen die Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren, Bürgermeister und Ratsmitglieder, und die Öffentlichkeit weiß fast nichts über die hier verschobenen Milliarden.

Die Retter malen die Schrecken der Kleinkriminalität und des „organisierten Verbrechens“ an die Wand. Doch was ist mit der normalen Steuerhinterziehung der Großen? Wenn die Steuergewerkschaft Köln etwa vorrechnet, daß die Betriebsprüfung, würde sie denn in ihrem Bereich in vorgeschriebenem Umfang durchgeführt, im Jahr zusätzlich 87 Mio. DM einbrächte – da schweigt der OB und unterschreibt den Ratsbeschluß über die Streichung von 324.800,76 DM für Sozialprojekte.

Solche Streichungen werden als Beitrag zur Sanierung des kommunalen Haushalts ausgegeben, ebenso wie das nächtliche Abschalten von Kreuzungsampeln (38.000 DM im Jahr) und Wasserbrunnen (19.500 DM). Das ist Volksverdummung. Wer über die Milliarden schweigt, die durch eine andere Verteilung der gesamtstaatlichen Ausgaben und durch neue Steuereinnahmen kommen müssen, der soll von der Sanierung kommunaler Haushalte nicht reden.

Apropos Verschlankung und Controlling: Unerwähnt bleibt in der Sanierungskampagne die staatliche Kommunalaufsicht. In Nordrhein-Westfalen etwa sind das die fünf Regierungspräsidenten. Sie leiten Ämter mit Tausenden von Beamten und Angestellten. Die Ämter sind parallel zu denen der Gemeinden aufgebaut, damit sie sie fachlich kontrollieren. Sie hätten der Überschuldung und anderen Mißständen entgegentreten müssen. In Wirklichkeit aber stellen die Regierungspräsidien keine Aufsichtsbehörde dar, sondern eine Ämterverdopplung. Hier wird doppelt gemauschelt.

Und kein Wort verlieren die flotten Sanierer über die üppige Finanzierung der Ratsfraktion aus dem Kommunalhaushalt. Und kein Wort über die Entmündigung des Stadtrats durch die Verwaltung. Und kein Wort über die schon bis ins nächste Jahrtausend zwischen den Parteien aufgeteilten Posten für Dezernenten und Amtsleiter. Und kein Wort verlieren unsere vereinigten Rettungskolonnen über die Korruption in Stadtverwaltungen, obwohl diese laut BKA bereits zum Normalfall geworden ist und obwohl bereits Dutzende Gerichtsverfahren wegen Schmiergeldzahlungen laufen. Nach Angaben des Frankfurter Oberstaatsanwalts Scharpensteiner entsteht den Kommunen allein bei der Bauvergabe ein jährlicher Schaden von etwa 10 Milliarden DM.

Die politische Struktur der Kommunen stand, verkleistert durch Parolen wie „Bürgernähe“ und „kommunale Selbstverwaltung“, jahrzehntelang im Windschatten der Öffentlichkeit. Verfilzte lokale Medien haben kommunale Kuscheligkeit als freundlichen Mantel über konkreten Klüngel gebreitet. Es ist doch nicht zufällig, daß alle bisherigen Bundesregierungen Kosten ihrer unseriös finanzierten Politik auf die Kommunen abgeschoben haben. Hier konnten sie mit Stillhaltern und Duckmäusern rechnen, demagogische „Aufschreie“ eingerechnet.

Die Städte können nicht mit den Personen und Strukturen gerettet werden, die für die Misere verantwortlich sind. Es geht zuallererst um politische Kommunalreform. Davon sprechen „unsere“ Oberbürgermeister mit keinem Wort, und damit haben sie das politische Urteil über sich gesprochen. Werner Rügemer

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