Aufstand gegen die Besserwessis

■ Das vereinigte Jemen fällt langsam wieder auseinander / Mehrere hundert Tote bei Kämpfen zwischen Nord und Süd

Berlin (taz) – Als sich am 22. Mai 1990 die bis dato realsozialistische „Demokratische Volksrepublik Jemen“ (Südjemen) und die konservativ prowestlich regierte „Arabische Republik Jemen“ (Nordjemen) zur „Republik Jemen“ zusammenschlossen, galt dies Beobachtern als Schritt zur Wiederherstellung von „Al-Jaman as-Sa‘id“, des im Koran und der arabischen Literatur gepriesenen „glücklichen Jemen“ aus vorislamischer Zeit. Unter panarabisch gesonnenen Zeitgenossen wurde die Union gar zum Beginn der Verwirklichung der arabischen Einheit stilisiert. Vier Jahre später ist die Euphorie verschwunden. Die nie vereinigten Truppen des ehemaligen Nordens und Südens beschießen sich seit Anfang des Jahres, eine erneute Teilung scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

Am vergangenen Mittwoch lieferten sich in einem Militärlager bei Umran, 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Sana, Soldaten des Nordens und des Südens Panzerschlachten. An dem im ehemaligen Nordjemen gelegenen Ort sind Brigaden aus beiden Landesteilen stationiert. 200 bis 800 Menschen starben bei den bisher schwersten Kämpfen seit der Vereinigung. Aus Umran verlautete, die Soldaten aus dem Süden seien vor ihren nördlichen „Waffenbrüdern“ geflohen und hätten bei befreundeten Stämmen Schutz gefunden.

Vor drei Tagen schoß die Luftabwehr des Nordens eine aus dem Süden kommende MiG-21 ab. Der Kampfjet habe zu einer Gruppe von Fliegern gehört, die „provokative Figuren“ über einem nordjemenitischen Militärstützpunkt geflogen seien, hieß es in Militärkreisen in Sana. Bei höchster Alarmbereitschaft und steigender Nervosität ist die Hemmschwelle, auf den tödlichen Knopf zu drücken, gering.

Die Gefechte werden von einem scharfen politischen Schlagabtausch der beiden Führer des Landes, dem aus dem Norden stammenden Präsidenten Ali Abdallah Saleh und seinem aus dem Süden kommenden Stellvertreter Ali Salem al-Beid, untermalt. Beide Politiker, die aus dem für ihren jeweiligen Widerpart empfundenen Ekel selten einen Hehl gemacht haben, werfen sich gegenseitig vor, das Land in den Bürgerkrieg stürzen zu wollen. Darüber hinaus kommunizieren Staatschef und Stellvertreter kaum miteinander. Nach den ersten gesamtjemenitischen Parlamentswahlen im April vergangenen Jahres hatte sich al-Beid aus Sana verabschiedet und residiert seitdem in seinem traditionellen Machtzentrum in Aden. Monatelang verweigerte er jeglichen Kontakt zu seinem „Chef“. Ein unter jordanischer Schirmherrschaft am 20. Februar inszenierter Versöhnungsversuch geriet zur Farce. Noch am gleichen Tag, an dem sich al-Beid und Saleh in Jordanien pflichtgemäß auf die Wangen herzten und größere Autonomierechte für den Süden vereinbarten, krachte es in der Heimat.

Ursache für die Kämpfe ist neben Konflikten innerhalb der tradtionellen, zum Teil schwer bewaffneten Stammesgesellschaft ein Ost-West-Konflikt. Unter den knapp 2,5 Millionen SüdjemenitInnen gelten die rund elf Millionen Brüder und Schwestern im Norden gemeinhin als „Besserwessis“, die Vereinigung als „Annexion“. Die nicht nur mit der wirtschaftlichen Notlage des Landes zu begründenden Einschränkungen des Kranken-, Sozial- und Bildungssystems im Süden stärken solche Ressentiments, nicht zu vergessen die schrittweise Rücknahme der im ehemals sozialistischen Landesteil im Vergleich zu anderen arabischen Staaten weit gediegenen Gleichberechtigung der Frauen. Hinzu kommt, daß die Einigung in Teilen nur auf dem Papier vollzogen wurde. Neben getrennten Armeen besitzen beide Landesteile getrennte Rundfunksender, unterschiedliche Zeitungen, und an Schulen und Universitäten wird nach verschiedenen Lehrplänen unterrichtet. Thomas Dreger