„Lila“ Koalition für die Niederlande?

Aus den Wahlen gehen die bislang regierenden ChristdemokratInnen und SozialdemokratInnen stark geschwächt hervor / Altenparteien ziehen erstmals ins Parlament ein  ■ Aus Amsterdam Harald Ronge

Die niederländischen WählerInnen haben der Regierungsfraktion aus Sozialdemokraten (PvdA) und Christdemokraten (CDA) die Mehrheit entzogen. Die CDA verlor ein Drittel ihrer WählerInnen und landete bei 22 Prozent. Ihre Position als größte Partei traten sie an die SozialdemokratInnen ab, die zwar 24 Prozent bekamen, aber ebenfalls schwere Verluste erlitten.

Der Niedergang der ChristdemokratInnen, die seit 17 Jahren in wechselnden Koalitionen jedes Kabinett dominiert haben, setzte ein, als sie Ende letzten Jahres ankündigten, die Renten einfrieren zu wollen. Wütende Altendemonstrationen und Mitgliederverluste waren die Folge. Als der Punkt aus dem Parteiprogramm verschwand, war es zu spät. Schon bei den Kommunalwahlen im Februar hatte die CDA stark verloren.

Für das schlechte Abschneiden der SozialdemokratInnen dürfte der Sparkurs der bisherigen Koalition verantwortlich sein. PvdA- Parteiführer Wim Kok hatte als Finanzminister unter anderem die Sozialhilfe reduziert. Zahlreiche sozialdemokratische StammwählerInnen fühlen sich seither verprellt.

Drittstärkste Fraktion blieben mit deutlichen Zugewinnen die Rechtsliberalen von der VVD. Sie hatten ein strenges Sparprogramm mit tiefen Einschnitten ins soziale System angekündigt.

HauptgewinnerInnen der Wahlen sind jedoch die Linksliberalen von D'66. Sie verdoppelten dank der Ausstrahlung ihres charismatischen Parteivorsitzenden Van Mierlo und dem vagen Versprechen, die niederländische Politik grundlegend zu erneuern, ihren Stimmenanteil.

Als Resultat dieses größten politischen Erdrutsches seit Einführung des Wahlrechts im Jahre 1917 sind die Kräfteverhältnisse zwischen den vier größten Parteien nahezu ausgeglichen. Rein rechnerisch ist jetzt erstmals eine Koalition ohne die christdemokratische CDA möglich. Der D'66-Vorsitzende Van Mierlo, dessen Partei bei diesen Wahlen eine Schlüsselposition zugefallen ist, plädiert seit Wochen für eine „lila“ Koalition der „roten“ PvdA, der „blauen“ VVD und „grünen“ D'66 mit Wim Kok als Premier. Er übt damit späte Rache dafür, daß ihn die CDA 1989 aus den Koalitionsverhandlungen ausschloß.

Gegen eine „lila“ Koalition sprechen die unüberbrückbaren Gegensätze in der Sozialpolitik zwischen der VVD und den anvisierten Koalitionspartnern. Vor allem deren Vorschlag, Kindern von illegalen ImmigrantInnen den Schulunterricht zu verweigern, treibt die Emotionen hoch.

Einzige reelle Alternative ist eine Mitte-Links-Koalition aus CDA, PvdA und D'66. Damit würden aber entgegen dem Wählerwillen die WahlverliererInnen wieder in der Regierung sitzen. Die sich als schwierig abzeichnenden Koalitionsverhandlungen sollen heute beginnen.

Weitab von der Regierungsverantwortung tummeln sich unter der in den Niederlanden nicht existenten Fünfprozenthürde die Kleinparteien im Parlament. Auffallendste Neulinge: die Alten. Der „Allgemeine Altenbund“ (AOV), am 1. Dezember letzten Jahres gegründet, profitierte von der durch die CDA losgetretenen Rentendiskussion und wird mit 3,6 Prozent fünftstärkste Kraft im Parlament, noch vor den Grünen, die Stimmen verloren. Die Grünen ziehen mit nur 3,5 Prozent der Stimmen (5 Mandate) ins Parlament ein.

Die rechtsextremen ZentrumdemokratInnen (CD) verdreifachten ihre Stimmenzahl. Erwartet hatten sie sehr viel mehr als die jetzt eingefahrenen 2,5 Prozent. Die Festnahme ihre Fraktionsführers im Amsterdamer Stadtrat, der sich vor einer verborgenen Kamera mehrerer Anschläge auf Ausländer gebrüstet hatte, und Prozesse gegen mehrere CD- Funktionäre wegen Rassenhetze schreckte viele WählerInnen ab. Nichtdestotrotz waren die ZentrumdemokratInnen in Städten wie Rotterdam sehr erfolgreich.

Siehe auch Seiten 10 und 11