Brasilien auf halbmast

■ Ohne den geliebten Rennfahrer Ayrton Senna macht Formel1 keinen Spaß mehr / „Sein Tod verletzt meinen Patriotismus“

São Paulo (taz) – Mittwoch morgen, sechs Uhr: Brasiliens Millionenmetropole São Paulo steht still. Eine schier unendliche Karawane aus Autos, Mopeds und Fahrrädern folgt dem Leichenwagen mit dem dreifachen Formel-1- Sieger Ayrton Senna. Auf der dreißig Kilometer langen Strecke zwischen Flughafen und Landtag, wo der 34jährige Rennfahrer aufgebahrt wird, drängen sich die Verehrer zu Tausenden am Straßenrand, um sich von ihrem Idol zu verabschieden. „Ayrton Senna ist tot, es lebe sein Mythos!“ kommentiert der brasilianische Fernsehsender Globo.

Nach der 24stündigen Aufbahrung wird Ayrton Senna heute auf dem Morumbi-Friedhof in São Paulo beerdigt.

Seit dem Tod des Formel-1- Champions am vergangenen Sonntag beim Großen Preis von San Marino stehen Brasiliens Flaggen auf halbmast. Staatsoberhaupt Itamar Franco verfügte drei Tage Staatstrauer und Staatsbegräbnis. Mit schwarzen Fahnen an der Autoantenne, Transparenten an Straßenkreuzungen und Plakaten an Fensterscheiben protestieren die Brasilianer gegen den Verlust ihres nationalen Idols.

„Senna ist der Pele der Formel1. Er hat mehr riskiert als alle anderen, deshalb hat er immer gewonnen“, erklärt Saulo Rodrigues. Für den Formel-1-Verehrer ist der 34jährige Rennfahrer ein Grund zum Nationalstolz. Wenn die Brasilianer schon keinen Erfolg mehr beim Fußball hätten, so der Geologe, dann gehörten sie immerhin zu den besten Piloten der Welt. „Eine Sache ist sicher. Schuhmacher wird die Formel1 gewinnen, denn er hat keinen Gegner mehr“, meint er verbittert.

Zwar sind Formel-1-Rennen beim brasilianischen Volk noch nicht so beliebt wie Fußball. Doch im Gegensatz zum Fußball, wo die Brasilianer dreimal den Weltmeistertitel holten – das letzte Mal allerdings im Jahr 1970 –, bescherte Senna seinen Landsleuten einen Triumph nach dem anderen. Für McLaren gewann er 1988, 1990 und 1991 die Formel-1-Rennen. Er errang 65 Pole-Positions und 41 internationale Auszeichnungen. „Alle mochten Senna. Obwohl ich Formel1 nur aus dem Fernsehen kenne, verletzt sein Tod meinen Patriotismus“, erklärt der Pförtner Gevasio Ferreira in dem Hochhaus in São Paulo, wo Senna wohnte. „Ohne ihn ist Formel1 sinnlos, das sage ich ohne die geringste Übertreibung“, verzweifelt Luis Carlos Sampaio, Vorsitzender des Senna- Fan-Klubs in São Paulo.

Ohne Ayrton Senna, soviel ist sicher, werden die Einschaltquoten der Übertragungen von Formel-1-Rennen im Morgengrauen in Brasilien beträchtlich sinken. Die Marke Senna brachte allerdings nicht nur dem Globo-Fernsehen Millionen ein. Senna profilierte sich als geschickter Unternehmer. Er war im Besitz eines Exklusivvertrages für den Audi-Import, machte Werbung für Motorräder und Mountainbikes und verkaufte vornehme Jachten – der Marke Senna.

„Es ist ein phantastischer Sport, der die Leute komplett verrückt macht“, meint Ex-Formel-1-Pilot Wilson Fittipaldi, dessen 21jähriger Sohn Christian nun als neuer Favorit gilt. Allerdings, so räumte der Veteran ein, könne einen dieser elende Sport zuweilen auch in die tiefste Trauer stürzen. Astrid Prange