Der Hexer vom Rothenbaum

■ Boris versandet, Michael macht zwei kurze Prozesse

Es ist 10 Uhr morgens. Boris Becker beginnt sein Training, das er nicht eben hyperventilierend nach einer halben Stunde beendet. Weiß der Leimenner, daß er in zwei Stunden gegen den Spanier Alex Corretja das „Psycho-Match des Tages“ bestreiten muß? Wohl kaum. Er ahnt nichts davon, daß sich auch an der Hallerstraße wie einst am Volkspark ein Hexer umtreibt. Digital aufgemotzt natürlich: Roland A. Carlstedt hext nicht, er ist Tennispsychologe und bedient sich der modernen Technik des japanischen Turniersponsors, von dem seine Dienste ja auch bezahlt werden.

Per Computer erfaßt er quantitativ die Psyche der Tennisspieler. Hilfreich sind dem „Gründer der Internationl Association of Tennis Psychology“ Kategorien wie mentale Disziplin, Lernfähigkeit und auch Tennisintelligenz. Insgesamt, so der Fachmann in Sachen Befindlichkeit, hat der deutsche Rotschopf fünf Punkte mehr von allem als sein Gegner aus Barcelona. Der bekleidet schließlich auch nur den 44ten Platz der Weltrangliste.

Vor den Toren machen Studierende „durch das Zeigen von Transparenten auf die finanziellen Problene im Hochschulbereich aufmerksam“ (Polizeipresseinfo) und werden von den Tennisbesuchern stubenfliegengleich ignoriert. Im Raumschiff Rothenbaum wehrt Boris Becker derweil zwei Matchbälle ab, um nach zwei Stunden und vierundzwanzig Minuten doch zu verlieren (1:6, 7:5, 5:7). Papa Becker gab sich hernach ganz der unwirklichen Atmosphäre hin und berichtete auf der Pressekonferenz von seinem vier Monate alten Sproß.

Michael Stich legte - schließlich ist er die Nummer eins der Psycho-Weltrangliste von 1993 - zwei Quickies in echter Bum-Bum-Manier hin. In der Fortsetzung des gestern nach 85 Mintuen abgebrochenen Matches gestattete er seinem Gegner Emilio Sanchez im zweiten Satz lediglich einen Punkt-Gewinn. Der „Elmshorner mit Hund“ verwandelte seinen ersten Matchball nach 37 Minuten. Im Achtelfinale begrüßte Michael Stich Andrej Chesnokov und sagte nach 65 Minuten und zwei 6:0 und 6:4 gewonnnenen Sätzen wieder Tschüß. Für erdverbundene sei angemerkt: Karsten Braasch der Mann mit dem natureigenen humantouch hat im Achtelfinale gegen Yergenj Kaselnikov aus Russland (3:6/2:6) verloren. Das ist Wirklichkeit.

Claudia Thomsen / Nina Westphal