Sanssouci: Vorschlag
■ John Cale und Bob Neuwirth mit „Last Day on Earth“
Die beiden Fraktionen beinharter Velvet-Underground-Fans könnten unterschiedlicher nicht sein. Lou Reed versus John Cale, Rock 'n' Roll versus notfalls alles, Hängertum versus Energie, zufriedenes Zurücklehnen versus unsicheres Suchen. Lou Reed war über all die Jahre der ungleich erfolgreichere der beiden, Reed hat Hits geschrieben, die man noch in hundert Jahren hören wird, aber aufregender, spannender, überraschender war immer Cale. Dafür muß man ihn lieben, auch wenn man sich hin und wieder wie ein Depp fühlt, nur weil man die neuste Cale-Platte aufgelegt hat, und der Mann wieder mal der Meinung war, daß Kontinuität ein Scheißdreck ist.
Als klassisch ausgebildeter Pianist sucht er weiter nach Ausweitungen, die er noch nicht beschritten hat. Bei einer Zusammenarbeit mit Bob Neuwirth konnte er wieder mal sein Faible für den großen Zusammenhang ausleben, wie schon auf „Music for a New Society“ oder zusammen mit Lou Reed auf „Songs for Drella“. Neuwirth ist vor allem bekannt durch seine Songs für Janis Joplin, Bob Dylan, die Doors oder Kris Kristofferson, die er teilweise auch produzierte. Davon hat sich Neuwirth zuletzt allerdings weit entfernt. Seitdem ist er berüchtigt für seine Song- Zyklen. Und so gab die New Yorker Kulturbehörde den beiden den Auftrag für „Last Day on Earth“. Dieses zwischen Konzert, Performance und Dichterlesung hängende Projekt wurde in den letzten Jahren einige Male live aufgeführt. Die gerade erschienene Platte wirkt – aufgrund der fehlenden visuellen Ebene – im Gegensatz dazu hin und wieder etwas dünn. Und lebt die meiste Zeit von den Stimmen der beiden, die sich mal abwechseln, mal sich im Duett versuchen.
Die Texte versuchen hier zynisch, dort warnend den „letzten Tag auf der Erde“ auszuleuchten, doch die Songs bleiben leider meist bläßlich. Das tröpfelt so dahin, und auch die Streicher scheinen nur eine Notlösung, weil man es wohl nicht völlig karg haben wollte, was vielleicht die bessere Entscheidung gewesen wäre. Dafür hat Cale schon lange nicht mehr so freundlich seine Stimmbänder bewegt, als wollte er das Endgültige der Texte mit Sanftmut austreiben. Auf die gewohnten Stakkato-Attacken am Klavier wird man dieses Mal umsonst warten. Allerdings sollte sich – eingespannt durch Neuwirth und die Begleitmusiker – ein wesentlich konzentrierterer Cale auf der Bühne präsentieren, als der der letzten Solo-Auftritte, deren Intensität doch allzuoft von der Tageslaune abhing. Thomas Winkler
Heute, 21 Uhr, im Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln.
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