Umstellt von Lärmverbrechern

■ Im Zentrum der Bauwut: Verbrecherische Baubanditen terrorisieren mit Bagger, Preßlufthammer und penetrant guter Laune die entnervten Anwohner

Alles wird anders im Frühling. Einige räumen ihren Schreibtisch auf, andere beginnen manisch in ihrer Wohnung herumzuputzen, einige reißen Häuser ab, andere bauen. Überall, um den Rest des Winters lärmend zu vertreiben. Wo ich wohne, ist das Zentrum der Berliner Bauwut.

Mein Zimmer ist umstellt von Lärmverbrechern, vor meinem Fenster gehen sie ihrem schändlichen Tun nach. Für wen? Für dich, für mich? – nein, für irgendwelche widerwärtigen Bürokraten ziehen sie die abstoßenden Häuser hoch! Zur Zeit sind sie noch beim Fundament. Seit Wochen schon. Angeberisch laut! Mörder! Fernsehgucker!

Zwanzig Meter hoch sind zwei gelbe Türmchen, die sich wünschen, Bohrtürme oder Weltraumraketen zu sein. Dreißig Meter mißt der rostige Kran. Zwei- und dreistöckig hat man die Baubuden übereinandergestapelt. Ein neuer Laden entstand in der Bernburger Straße, die feisten Baubanditen zu laben. Traurige Arbeiter, die ihrer entfremdeten Arbeit nachgehen – daß ich nicht lache.

Als eine Freundin ihre Bauarbeiter mal fotografierte, kamen die hoch mit drei Mann und beschimpften sie zwischen Fußtritten und Faustschlägen an die Haustür als „blödes Suppenhuhn“, bis sie dann die Bullen rief. Ihre Bauarbeiter gingen ja noch – die machten zumindest ständig Schnapspausen. Die Verbrecher dort draußen dagegen sind „fleißig“. Denen macht das Spaß. Je lauter, desto besser.

Seltsamerweise ist der Aufbaulärm um einiges lauter, als es der Abriß vor einem halben Jahr jemals war. Wobei der Abriß allerdings auch ganz interessant zu beobachten war: Beeindruckend knallte die Abrißbirne dumpf gegen das Haus. Meist gelang es dem Abrißbirnenführer, die Birne nicht gegen unser Vorderhaus knallen zu lassen. Oder doch nur ein wenig.

Geheimnis und Gewalt verbinden sich seitdem in beängstigenden Rissen im Hausflur. Die werden größer allmählich. Notdürftig werden die geflickt. Kindlicher Pfusch hält das Haus seitdem zusammen. Und unser Hausmeister schaut traurig und sagt nichts mehr und versucht sich schwankend dem schwankenden Haus anzupassen.

Morgens um sieben beginnen die jubelnd, um einen neuen, wunderschönen Tag zu begrüßen („Waky, waky, waky – it's another beautiful day“). Konsequent unregelmäßig, um Langschläfern, Studenten und mir jede Möglichkeit zu nehmen, sich an den Krach zu gewöhnen, agieren die Bagger. Provozierend fahren schwere LKWs hin und her. Auch eine Baggerfahrschule betreibt vor meinem Fenster ihr schändliches Geschäft. Grinsend kommt ab und an eine Brigade mit Preßlufthämmern vorbei. Spaß muß sein!

Zwischen sieben und neun versucht man trotzig noch gegen den Lärm anzuschlafen. Gegen neun, wenn die fettgefressenen Mörder Frühstückspause machen, sinkt man für eine Viertelstunde in seltsame Träume von grinsenden Comicfiguren mit schweißigen Gesichtern, die mit Preßlufthämmern einem auf der Brust hocken, um brutal dann wieder hochzuschrecken.

Den Rest des Tages, bis um acht Uhr abends schaut man am Fenster rauchend und trinkend den Lärmverbrechern zu. An eigene Dinge war nicht mehr zu denken; Depressionen kamen höhnend vorbei. Das Leben wurde zu einer Zentralkatastrophe.

Der neuen Gründerzeit entfloh ich in Wohnungen von Freunden. Doch die Bauwut mag und begleitet mich. An den Fenstern meiner Exilwohnung in Prenzlauer Berg grüßten früh am Morgen schon die Bauarbeiter verdächtig freundlich von den Gerüsten ins Zimmer. Die hatte ich schon mal gesehen. Die wollten mich fertigmachen! Im Treppenhaus prosteten Mieter und Bauarbeiter verschwörerisch einander zu.

Nachts gucken die laut Pornofilme, spielen Klavier und schlagen ihre kläffenden Kinder und quietschenden Hunde. Der Bausenator hampelt dazu im Fernsehen herum. Im Haus gegenüber turnt ein putzsüchtiger junger Mann im dritten Stock vor seinem Fenster an der Außenfassade herum. Der fällt gleich runter. Ha, ha, ha!

Draußen vor der Tür behindern tausend Baustellen sich gegenseitig. Ein paar Schritte verfolgt mich ein unschuldig grinsender Bauarbeiter mit seinem Preßlufthammer! „Und jetzt geht es los mit ganz großen Schritten.“ Ha, ha! Das macht Spaß! Unter dem Slogan „Schönheit durch Geiz“ lächelt eine blöde Neckermannfrau auf mich herunter.

So sind hier die Menschen! Auf dem letzten Stück Bürgersteig, das nicht von gemeingefährlichen Irren bearbeitet wurde, fand ich einen Zettel. Der versöhnte mich, bevor ich aus der bauneurotischen Stadt verschwinden sollte. Da stand in Teenieschrift: „Na wie geht's?“ und als Antwort: „Mir geht's wieder gut. Dank der Nachfrage.“ Detlef Kuhlbrodt