Protestaktion der HBV

Für die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung (HBV) war der gestrige Warnstreik ein voller Erfolg: Rund viertausend Gewerkschafter blockierten zeitweise etwa 30 Filialen von Kaufhausketten und Supermärkten im Ostteil der Stadt.

Es war die erste große Protestaktion im Einzelhandel gegen die ungleiche Bezahlung im Ost- und Westteil Berlins. Mehrere Geschäfte arbeiteten mit Notbesetzung, einige mußten wegen Personalmangels ganz schließen.

HBV-Verhandlungsführer Manfred Müller sprach von einem „sehr guten Auftakt“, der Mut mache. Es sei nicht darum gegangen, den Einzelhandel komplett lahmzulegen. Ein Ziel der Aktion sei vielmehr gewesen, „den verängstigten Kollegen zu zeigen, daß niemand wegen der Teilnahme am Streik berufliche Nachteile einstecken muß“.

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ war auf Transparenten vor dem Roten Rathaus zu lesen, wo die Kundgebung gegen acht Uhr begann. Zur Zeit verdienen die Ostangestellten 17 Prozent weniger als die KollegInnen aus dem Westteil der Stadt. Außerdem arbeiten sie zwei Stunden pro Woche länger. Die Arbeitgeber hatten bei den Tarifverhandungen für die 300.000 Beschäftigten im ostdeutschen Einzelhandel zuletzt 3,66 Prozent mehr geboten.

„Damit lassen wir uns nicht locken“, sagte eine Kaiser's-Kassiererin. Wenn nötig, wolle sie mit ihren Kolleginnen jeden Tag streiken. Einen deutlichen Schritt in Richtung hundert Prozent müsse es geben, meinte HBV-Sprecher Ottwald Demele.

Mit Jubel wurden vor der Amtsstube Eberhard Diepgens Meldungen über die Schließung von „Bolle“- und „Kaiser's“-Filialen wegen Personalmangels quittiert. Schadenfroh berichteten Angestellte einer Marzahner Supermarkt-Kette, daß die Chefsekretärin und der Betriebsleiter an den veralteten Kassen sitzen würden. Im „Kaufhof“ am Hauptbahnhof waren 260 der 300 Mitarbeiter der Frühschicht ferngeblieben. Die Mitarbeiter im Fuhrpark und im Zentrallager von „Plus“ beteiligten sich komplett an dem Warnstreik.

Ein Protestzug zog zum Kaufhof am Alexanderplatz. Die KollegInnen wurden mit Sprechchören aufgefordert, sich anzuschließen. Das Unterfangen schlug fehl: Die meisten Angestellten dort sind in der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) organisiert, wo die Urabstimmung noch andauert. Während die Aktion bei den Kunden auf Verständnis stieß, fand sie bei der Geschäftsleitung wenig Gegenliebe. Ihre Ratlosigkeit entlud sich in Drohungen auf Schadenersatzforderungen und Hausverbote. Nach etwa zwanzig Minuten zogen die DemonstrantInnen wieder ab.

Die Arbeitgeber wollen sich am Montag treffen, hieß es beim Gesamtverband des Einzelhandels. Dann ist möglicherweise mit einem verbesserten Angebot zu rechnen. Die HBV will so lange nicht warten: Auch heute soll es wieder Warnstreiks geben. Martin Hörnle/Foto: Rolf Zöllner